Aus Patientensicht: Klartext nach Berlin!
Sehr geehrter Herr Minister Gröhe,
von Ihrer Ernennung zum Gesundheitsminister hörte ich nach der Bundestagswahl 2013 aus dem Radio auf der Autobahn. Unvermittelt bremste ich überrascht ab. Sie waren für mich alles andere als ein Favorit auf dieses Amt…
Aus Sicht der informierten Bürgerpatientin, kam mir nach 10 km der Gedanke, gut so, Herr Gröhe ist ja Jurist! Hoffnung keimte auf. Die gefühlte Chance stieg, dass endlich jemand die Auswüchse in den Selbstverwaltungen der GKV (gesetzliche Krankenkassen) und der KV (Kassenärztliche Vereinigung) angeht!
Um einer genormten Antwort aus Ihrem Haus zuvor zu kommen, natürlich ist mir bekannt: Das Bundesversicherungsamt (BVA) führt die Aufsicht über die bundesunmittelbaren gesetzlichen Krankenkassen. Es ist auch zuständig für die Bearbeitung und Beantwortung von Beschwerden, die diese Krankenkassen betreffen. Mir ist auch bekannt, das BVA ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS)! Nur im Hinblick auf die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung arbeitet das BVA eng mit Ihrem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zusammen. Und genau hier ist mein Ansatz Sie zu kontaktieren! Denn ich habe die berühmten 100 Tage Ihrer Arbeitseingewöhnung plus fast einem Jahr zugewartet und erlebe nun von Ihnen dieselben Sprechblasen, Ankündigungen und völlig absurden Entscheidungen, die seit Jahren zu gravierenden Systemfehlern führen.
In Ihren politischen Statements bedienen Sie sich der Aussage, es gehe in allen Entscheidungen im Gesundheitswesen vorrangig um den Patienten. Dagegen sprechen die Erfahrungen von betroffenen gesetzlich Versicherten, z. B. wie mit Willkürmaßnahmen, arglistiger Täuschung, bis hin zur Nötigung und dubiosen Beitragsberechnungen, vonseiten der Kassen, agiert wird. Die von Ihnen verteidigte Selbstverwaltung, ist längst aus dem Ruder gelaufen und hat sich verselbständigt in Richtung Staat im Staat. Vom Spitzenverband der Kassen werden Vorgaben an alle Kassen ausgegeben. Diese werden in Schreiben und Gesprächen dem Kassenmitglied als „Gesetz“ präsentiert! So wird dem unvoreingenommenen Leser eine Gesetzgebung suggeriert, die es nicht gibt! So werden z.B. gegenüber freiwillig Versicherten Beiträge an die Kassen veranlasst, die vonseiten des Spitzenverbandes jährlich neu angesetzt und fälschlicherweise als „gesetzlich“ ausgewiesen werden. Oft werden diese Beitrags – Mondberechnungen bis zur Pfändung betrieben.
Dutzende Mittelständler und Freiberufler wurden so im Laufe der Jahre von Kassenseite attackiert und drangsaliert, existenziell bedroht, einige sogar vernichtet. Beispiel gefällig?
Hier ein Auszug aus einer von dutzenden Mails, die mich täglich erreichen. Es handelt sich um einen Unternehmer, der genau in diese Kassenfalle für freiwillig Versicherte gefallen ist:
(..) „Können Sie sich den Widerspruch vorstellen? Auf der einen Seite sitze ich den Einkäufern von großen Unternehmen, einigen Bundestagsabgeordneten, Bürgermeistern, sowie MA des Umwelt-, und Landwirtschaftsministerium gegenüber und plane ein Projekt von großem öffentlichem Interesse und bin, aufgrund von völlig absurden Mechanismen meiner Krankenkasse, nicht einmal krankenversichert? Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was über unser Gesundheitssystem gesagt und wie es abgewickelt wird. Ich kenne sogar Leute, die aufgrund dieser Vorgänge oft an die Baumlösung denken. (..)
Fakten: Nach oben ist die maximale Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2015 auf 4 125.– € festgesetzt. Ab diesem Einkommen kann der angestellte Versicherte sich a) privat versichern b) er zahlt den maximalen monatlichen Beitrag von 15,5% incl. Pflegeversicherung, egal was er über diesen Betrag hinaus verdient. Das gilt auch für den freiwillig Versicherten. Dieser festgesetzte Satz von 15,5 % ändert sich massiv bei freiwillig versicherten Selbstständigen und Freiberuflern, falls diese, aus welchen Gründen auch immer, einkommensmäßig nach unten rutschen. Hat z.B. ein Selbstständiger ein schlechtes Jahr und kommt im Monat nur auf 1.200 € – bezahlt er seinen Krankenkassenbeitrag, im Jahr 2015, trotzdem aus der Summe von 2 835,00 €, auf Antrag aber mindestens 75 % aus diesem vom Spitzenverband der Kassen vorgegebenen willkürlich berechneten Betrag. Das ergibt eine Bemessungsgrundlage in Höhe von 2. 126,25 €! Also weit mehr als das monatliche Einkommen. Der Beitrag beläuft sich damit auf 329,57 €. Herr Minister Gröhe, nach Adam Riese sind das aber mehr als 15,5 % vom (tatsächlichen) Einkommen!
Seit Jahren publiziere ich diese Fälle anhand von mir vorliegenden Fakten. Es vergeht kein Tag, an dem nicht neue Fälle dazu kommen. Teilweise werden von den Kassen bei freiwillig Versicherten Beiträge bis zu 65 % des tatsächlichen Einkommens und mehr, notfalls per Gerichtsvollzieher eingetrieben. Siehe auch
Und dies alles unter dem Deckmantel der Selbstverwaltung, die laufend gegen das BGH-Urteil „Lügen durch Weglassen“ verstößt! In den Schreiben der Kassen an die freiwillig Versicherten werden die Berechnungsgrundlagen als „gesetzlich“ vorgegeben deklariert. Es wird bewusst gelogen und weggelassen, dass diese Beitragsbemessungen von einem Einkommen im Monat unter 4.125 € nicht gesetzlich, sondern vom Spitzenverband der Kassen vorgegeben wird und bindend für alle Kassen ist. Das nennt man in der Wirtschaft eine verbotene Preisabsprache, die zurecht strafrechtlich sanktioniert wird! Dem Adressaten wird suggeriert, es handle sich um einen gesetzlich vorgegebenen Beitrag.
In sehr vielen Fällen wird daher das Widerspruchsrecht nicht wahrgenommen und die Katastrophe nimmt, bis hin zu Pfändungsmaßnahmen, ihren Lauf!
Außerdem wird durch diese Vorgänge, der im Grundgesetz festgelegte Gleichheitsgrundsatz ausgehebelt, ohne dass jemand aus den Aufsichtsbehörden davon Notiz nimmt. Einmal von den grundlegenden systematischen Brüchen der derzeitigen Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung abgesehen.
Sie haben 2014 die Entscheidung, den Kassenbeitrag um 0,9 % zu senken als politisch großzügige Beitragssenkung propagiert. Zeitgleich wurden Zusatzbeiträge, die frei von den Kassen erhoben werden, zur Regel! Das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ hat einmal mehr den Kassen Tür und Tor geöffnet Beitragserhöhungen, ohne Nachweis über die Geldflüsse zu verlangen. Sie sagten auch 2014, der dadurch ausgelöste Wettbewerb würde „auch zur Preissenkung für die Versicherten führen“ das ist lachhaft und eine dieser politischen Sprechblasen für das Wahlvolk! Auch die Ankündigung, bei Beitragserhöhungen werde es ein Sonderkündigungsrecht für die Versicherten geben, ist nichts als heiße Luft. Den Pflichtversicherten (immerhin ca. 90% der Bevölkerung) wird der Zusatzbeitrag vom Arbeitsendgeld mit den Sozialabgaben automatisch vom Arbeitgeber abgezogen, ohne dass der Kassenpatient informiert wird. Ich möchte daran erinnern, dass wir Kassenpatienten die Finanziers dieses Gesundheitssystems sind! Wir reden hier von einem Markt, in den wir an Beiträgen und Zuzahlungen jährlich bis zu 300 Milliarden pumpen! Fast soviel wie der gesamte Bundeshaushalt! Wir sind die einzigen Finanziers ohne tatsächliches Mitspracherecht. Nach dem Motto, der Mensch als Ware, verraten und verkauft auf dem Basar des einzig wachsenden Marktes, dem Gesundheitsmarkt.
Selbst der Bundesrechnungshof mahnt seit Jahren die Intransparenz und das nicht Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung der Kassen an. Das Kartellamt wurde beim Versuch die Kassen zu kontrollieren, politisch zurück gepfiffen. Die Frage steht im Raum, ob Ihre Verteidigung der Selbstverwaltungen, nicht Schutzmechanismen sind, um politische Verantwortung abzuschieben? Ich vermisse nach der neuesten Voraussage der Kassen, einer weiteren Zusatzzahlungswelle, die Aufforderung der Politik an die Kassen zur Transparenz und Aufklärung, wo die vor einem Jahr propagierten Milliarden-Überschüsse geblieben sind! Eine klare Positionierung von Ihnen zu den überhöhten Vorstandsgehälter bis 300.000 Euro, den abenteuerlichen Abfindungen, viel zu hohe Verwaltungskosten, teure Beraterverträge. Dazu, wie manche Kassen mit dem Geld der Versicherten umgehen. Vor allem auch zu den Deals, die es bei Fusionen unter den Beteiligten gibt.
Die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen ist zwar von 1147 (1990) auf 124 (2015) geschrumpft, nur der Verwaltungsaufwand ist gleich geblieben. Kein Wunder also, dass die Leistungen der Kassen laufend reduziert werden, die Beiträge dagegen steigen! Auf meinem Blog habe ich die Veränderungen der Kassenleistungen seit 1977 aufgelistet. Obwohl in den achtziger Jahren die Beitragseinnahmen der Kassen ein Bruchteil von heute waren, gab es die dreifache Leistungen. Was das heißt? Ganz einfach, dies ist eine der Folgen der ausufernden, sogenannten Selbstverwaltung, die sich durch politisch angelegte Systemfehler zum Selbstbedienungsladen entwickelten! Meine seit Jahren gestellte und nicht beantwortete Frage, wo bleibt unser Beitragsgeld, ist deshalb mehr als berechtigt! Und falls Sie mich nun auf die Zahlenspiele der Webseite Ihres Ministeriums verweisen, lassen Sie es. Die Zahlen kommen von den Kassen selbst, haben Sie das geprüft, oder prüfen lassen? Die Rechenarten der Kassen, über deren Personal-und Verwaltungskosten, habe ich bereits 2013 in meinem Buch „Geldmaschine Kassenpatient“ thematisiert.
Laut Bundesrechnungshofunterlagen können die Kassen nicht einmal belegen, welche Kosten ihnen durch die Abbuchungen entstanden sind, für die sie extra Millionen pro Jahr kassieren. Sie führen für den Beitragseinzug überwiegend keine Kosten- und Leistungsrechnung durch. Seit mehreren Jahren fehlt es, ebenfalls laut Bundesrechnungshof, an der Kostentransparenz bei den Kassen!
Die oberste Aufsichtsbehörde der Kassen hat, genau wie das Bundesgesundheitsministerium, mehrfach versagt. Absichtserklärungen der Kassen schaffen noch nicht die erforderliche Transparenz. Hinzu kommt der fehlende Gestaltungswille der Politik, um die bestehenden Missstände zu behe…
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