Fortsetzung 3 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

Fortsetzung 3 aus meinem Buch „Der goldene Skalp“

Das habe ich jahrelang nicht erkannt, und ich habe diese Ärzte immer entschuldigt. Wahrscheinlich liegt das an meiner Prägung als Sozialarbeiterin. Ich habe lange Jahre in der Bewährungshilfe viele schwierige Fälle betreut, an deren Lage angeblich immer etwas anderes schuld war. Und so habe ich Ärzte eben auch entschuldigt und ihr Verhalten gerechtfertigt, so als könnten sie bei diesem System nicht anders reagieren. Aber in Wirklichkeit sind sie selbst verantwortlich. Sie zanken sich um Honorare und Patienten.

Der Wettbewerb hat mittlerweile aus Haus-, Fach- und Kinderärzten Konkurrenten gemacht, die sich gegenseitig misstrauen. Da tun mir die Ärzte einerseits leid, andererseits bekomme ich eine riesige Wut auf sie, weil sie es eigentlich in der Hand hätten, das System zu verändern, aber stattdessen im Hamsterrad den Honoraren hinterher rennen. Nur die Ärzte und ihr Verhalten zu kritisieren wäre zu kurz gedacht. Wehren wir uns denn als Beitragszahler? Mein Eindruck ist, dass wir schon selbst glauben, in diesem Wildwestkrimi irgendwo auf Öl zu stoßen und selbst Profit aus dem System herauszuschlagen. Uns Patienten bezeichnen die Kassen seit Jahren schon als Kunden, und ich habe immer mehr das Gefühl, dass diese Propaganda mittlerweile in unseren Köpfen Wurzeln geschlagen hat. Wir sind so geblendet und übersehen, dass dieses System das Verhältnis zu uns Menschen komplett verändert hat. Wir sind keine Patienten mehr, und auch unsere Gesundheit ist zweitrangig. Nach Jahren der Recherche und Kampf mache ich mir deshalb nichts mehr vor: Das Solidarsystem existiert nicht mehr. Das ist nur noch ein sozialromantisches Märchen, das wir uns zur Beruhigung vor dem Schlafengehen erzählen.

In Wirklichkeit stehen nur noch Ruinen, und die werden Stück um Stück von denen abgetragen und verkauft, die seit Jahren auf die Geldberge unseres Gesundheitssystems aus sind. Denn wir reden hier über einen wachsenden Markt! Durch den fließen jährlich allein an Kassenbeiträgen ca. 250 Milliarden Euro. Plus ca. 70 Milliarden Euro, die durch Zuzahlungen und unzählige Gesundheitsprodukte dazukommen.  Für ein Stück von diesem Kuchen ist jeder bereit, seinen Nächsten gewinnbringend zu verschachern. Die Krankenkassen die Funktionäre. Die Funktionäre die Ärzte. Die Politiker die Ärzte. Die Ärzte die Patienten. Die Gesunden die Kranken. Die Kranken die Schwerkranken. Denn das neue, marktregierte System verwandelt uns alle, es macht uns krank! Wir nehmen aber gar nicht wahr, was mittlerweile aus Ärzten, Pflegekräften, Patienten und Politikern geworden ist. Unsere Gesellschaft ist längst auch mit dem Virus des Dollar-Fiebers verseucht. Rückblickend saß ich acht Jahre lang in einem Kinofilm, in dem sich vor meinem Auge die Auswüchse der menschlichen Gier abgespielt haben. Nur dass dieser Film nicht nach zwei Stunden aus war.

Er hat bis heute nicht aufgehört. Nach jedem Ende wartete ein neuer Abgrund. Acht Jahre Lebenszeit habe ich für diese Schmierenkomödie investiert, als dieses Buch entstand. Eigentlich hatte ich mir geschworen, dass nie wieder ein Thema so Besitz von mir ergreifen darf. Mein Ziel war immer ein menschlicheres Gesundheitssystem – dort bin ich noch nicht angekommen. Unterwegs habe ich aber so viel erlebt, dass ich mich fühle wie ein Container, bis zum Rand angefüllt mit dem Unrat dieses Systems.

Ich muss einfach die Türen aufklappen und das alles zu Papier bringen, sonst platze ich noch. Darum ist dieses Buch auch meine Geschichte mit dem System. Ich werde hier die Fakten aufschreiben, die mittlerweile Regale voller Ordner und Boxen in meinem Archiv füllen Greenhorns. Leichte Beute. Wirklich gut kennen sich nur die aus, die dieses System gebaut. Aber auch die vielen Erlebnisse, die mehr als Fakten unserem Gesundheitssystem die Maske herunterreißen.

Meine Erkenntnis dabei ist: Diese gierigen Fremden, nach denen ich so lange gesucht habe, das sind wir alle. Die Gier beherrscht uns, darum ist unser krankes Gesundheitssystem nicht mehr zu heilen. Es wird immer kränker und schwächer, und die Medikamente, die ihm als politische Reformen gespritzt werden, bringen rein gar nichts. Darum müssen wir die Augen öffnen! Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir übernehmen als Versicherte und Ärzte endlich Verantwortung und starten neu. Oder wir vergessen das mit der Solidarität und dem Mitgefühl, verhökern das letzte Tafelsilber un d finden uns damit ab, dass wir kein Miteinander mehr wollen. Dann sollten wir uns aber besser mit dieser Welt anfreunden, die ich Ihnen, werte Leserinnen und Leser, in den nächsten Kapiteln zeigen werde. Und lassen Sie mich jetzt schon sagen, es ist eine hässliche Welt! Und sie wird immer hässlicher. In ihr sind wir allesamt Greenhorns und leichte beute, für diejenigen, die sich diese Welt erdacht haben. Ihr sind wir als Patienten und Ärzte ausgeliefert. (..) Fortsetzung folgt.