In dem Einfamilienhaus, kam Erna nach dem Tod ihres Mannes alleine gut zurecht. Das soziale Umfeld hatte Bestand. Der Kontakt zu den erwachsenen Kindern war sporadisch.
Bei einem der „wir sind gerade in der Nähe“ Besuche ihrer Tochter, kam es zum Thema Erbschaftssteuer. Intensiv wurden die allgemeinen Teuerungen beklagt, bis endlich das Wort „Hausüberschreibung“ fiel. Großmutter Erna stand kurz vor ihrem 81. Geburtstag. Laut Statistik blieben ihr noch drei Jahre. Natürlich wurde dies nicht ausgesprochen. Die Tochter verpackte es in den Worten „Vorsorge, man weiß ja nie was kommt“!
Großmutter Erna besprach es mit ihren Freunden, die rieten ihr dies unbedingt auch mit ihrem Sohn zu besprechen. Der hatte zwar keine Ahnung von den Gedankengängen seiner Schwester, konnte jedoch dem Umstand der Erbschaftssteuer zu entgehen, etwas abgewinnen. Da er seine Schwester und deren Drang vonwegen „alles haben wollen“ von Kindesbeinen her kannte, informierte er sich.
Er wollte den Wunsch seiner Mutter, in ihrem Haus zu bleiben, festigen. Deshalb schlug er vor zusammen mit der Überschreibung, das lebenslange Wohnrecht und den Nießbrauch für die Mutter einzutragen. Bei diesen Vorbereitungen sickerte die Devise seiner Schwester durch „man weiß ja nie“ und sie beharrte darauf, auf sie eine Generalvollmacht auszustellen! Das wurde mit der Corona Pandemie und den Kontaktproblemen begründet.
Großmutter Erna war nicht wohl dabei und sie bestand darauf, wenn eine solche Generalvollmacht, dann auf ihre beiden Kinder, mit dem Zusatz, einer allein kann nicht entscheiden! Dies verzögerte erst einmal den Vorgang.
Erst als beim Notar, zeitgleich mit der Hausüberschreibung, die Generalvollmachten, im Sinne von Großmutter Erna unterzeichnet wurden, war sie zufrieden.
Die Zeit ging ins Land. Großmutter Erna erwähnte Monate später gegenüber ihrer Tochter, die Lesebrille sei nicht mehr so gut. Innerhalb kürzester Zeit wurde von der Tochter ein Augenarzttermin organisiert, zu dem sie sich als Begleitperson anmeldete. Ganz nebenbei erwähnte die Tochter, es mache Sinn, nach dem Arzttermin dieses Altenheim anzusehen, bei dem – laut Zeitung – einige Plätze frei seien.
Erna fühlte sich unwohl, empfand es als unangenehm. Sprach es auch aus und es kam zu einer Auseinandersetzung. Sie wollte gar nicht zum Augenarzt. Ihr Plan war eine neue günstige Lesebrille zu kaufen, wie sie es seit Jahren praktizierte. Dementsprechend war Erna beim Arzt auch sehr zurückhaltend, sprach nicht viel. Dafür übernahm die Tochter das Wort und Erna entging nicht, dass diese den Arzt gut kannte. Die Unterhaltung der beiden ging um die Vorteile im Alter in einem guten Heim unterzukommen. Erna hörte gar nicht mehr zu, für sie war das kein Thema. Sie hatte ihr Zuhause, konnte selbst einkaufen, kochen und hatte Kontakte. Wusste um die Situationen, in denen die Einlieferung ins Altenheim notwendig sein kann, nämlich wenn Sicherheit und Wohlbefinden des älteren Menschen nicht gewährleistet sind. Nur das war bei ihr nicht der Fall. Deshalb fühlte sie sich auch nicht angesprochen.
Wer konnte ahnen, dass ihre Teilnahmslosigkeit bei der Unterhaltung zwischen dem Arzt und der Tochter, als beginnende Demenz auf einem Schreiben des Arztes über ihren Gesundheitszustand auftaucht?!
Bei der Rückfahrt vom Arzt wunderte sich Großmutter Erna als ihre Tochter auf dem Parkplatz des Altenheims anhielt. Auf Rückfrage kam die Antwort: „Lass uns doch einfach mal reinschauen, man weiß ja nie“ um einen weiteren Konflikt zu vermeiden, willigte sie ein.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte die Seniorin nicht, dass ihr Umzug ins Altenheim von ihrer Tochter fest eingeplant war und sie längst in Gesprächen mit dem Altenheim war. Ernas Desinteresse bei der Besichtigung, war ein weiteres Puzzlestück, den Verdacht einer beginnenden Demenz zu festigen.
Nur über diesen Weg war es möglich, den Wunsch der Tochter umzusetzen das Haus zu verkaufen. Nach der Berechnung der Tochte, reichte die Rente von Erna und das Barvermögen aus, um die letzten Jahre im Heim finanzieren zu können.
Ernas stabiler Gesundheitszustand, ihre Sicherheit, allein leben zu können, musste Stück für Stück ins Wanken gebracht werden. So konnte der 300 km weiterlebende Bruder von der Notwendigkeit, Mutter muss ins Altenheim, überzeugt werden. Erst dann, würde die Klausel Wohnrecht wegfallen. Und das Elternhaus könnte bereits zu Lebzeiten veräußert werden.
Da der Sohn seine Schwester und ihre Ziele ahnte, besuchte er spontan für ein paar Tage die Mutter. Verwundert stellte er fest, wie offen Erna aussprach, dass sie überzeugt sei, es gehe der Tochter um den Gewinn beim Hausverkauf, der nicht möglich wäre, wenn sie nicht auszieht. Deshalb habe sie sich bei einer Beratungsstelle über gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf Einlieferung ins Altenheim, sowie über Entmündigung informiert. Außerdem bestehe sie auf einer Untersuchung, nach der ihr körperlicher und geistiger Zustand diagnostiziert werde. Sie wolle dokumentiert haben, dass sie in der Lage sei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Im Gespräch mit der Schwester gab diese zu, dass sie das Elternhaus über ihren Sohn, der bei der Bank arbeitete, schätzen lies. Sie wusste auf den Cent genau, was der Verkauf – für jeden der Geschwister – bringen würde.
Der Fall von Großmutter Erna, ging nur gut aus, da der Sohn sich auf die Seite der Mutter stellte. Bei ihm die Lebensleistung der Eltern an erster Stelle stand. Er wusste, nur über diese kam zukünftiges Erbe zustande. Vor allem wollte er die Bedürfnisse und Wünsche der Mutter respektieren und ihre Würde geschützt sehen.
Großmutter Erna war, mit nun über achtzig Jahren eine wichtige Erfahrung reicher. Blut ist nicht immer dicker, wie Wasser. Insbesondere kommt dies vor, wenn es ums Erben geht! Durch Ernas Drängen, das Umschreiben im Grundbuch und die Generalvollmacht nur zu akzeptieren, indem beide Kinder eingetragen werden und einer allein nichts entscheiden kann, dazu ihr Sohn sie unterstützte, konnte sie in ihrem Haus weiter wohnen bleiben. RH
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