Wochenhalbzeit im Blick: Denken verboten

Zur Zeit diskutieren wir landauf landab über das Thema Meinungsfreiheit und über ideologische Manipulation. Wir reden wieder über den aufkommenden „kalten Krieg“ sehen jedoch täglich, der Krieg ist allgegenwärtig. Wir erleben weltweit den um sich greifende Aktionismus in der politischen Szene, erkennen jedoch, es bewegt sich nichts ins Positive. Im Gegenteil! Manchmal frage ich mich, ob es tatsächlich diese Wiederholungen, wie ein immer wieder kehrendes Déja vu Erlebnis gibt?

Ich erinnere mich an eines der Seminare für sicherheitsbetreute Firmen, dass ich im Bundeswirtschaftsministerium hielt. Als Referentin kam ich in den Genuss, den Bonner Atombunker zu besichtigen. Es war 1997 und die letzte Möglichkeit, dieses zeitgeschichtliche Bauwerk zu begehen.

Denn der Bunker stand kurz vor der Auflösung. Eine Ära ging zu Ende. Einen Käufer zu finden für diesen ausgehöhlten Berg, gestaltete sich schwierig.

Anlässlich einer kürzlich geführten Diskussion, über die momentane gesellschaftliche Stimmung, überkam mich intensive Nachdenklichkeit.

Ich erinnerte mich an dieses beklemmende Gefühl, als ich 1997 von der warmen Sommersonne in den circa 18 Kilometer ausgehöhlten Berg, durch meterdicke Sicherheitsschleusen ging. Heute fühlt es sich in den Gesprächen genauso an, als würden wir uns in einem ausgehöhlten Berg mit jeder Menge Sicherheitsschleusen befinden.

Wir wurden damals durch eine gespenstische Welt unterhalb der Erde geführt. Im Ernstfall hätten damals dort circa 3000 Menschen bei einem Atomangriff überleben sollen. Über Jahrzehnte fanden in dem Bunker laufende Übungen statt. Menschen probten 10 Tage den Ernstfall. Dies stellte sich dar, wie die Wiedergabe eines Textes in einem Katastrophenfilm. Kabel und überdimensionale Generatoren prägten diesen Mammutbunker. Das Kanzlerzimmer war genauso, wie die anderen Schlafräume, lediglich für das nackte Überlebenden möbliert. Im Lagebesprechungsraum brauchte man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Gedanken und Emotionen und Energien, während einer Situation im Ernstfall, in diesem Raum gebündelt gewesen wären.

Nach über zwei Stunden wieder zurück an der Sonne, lag vor mir ein Berg, dem man nicht ansah, was er in sich birgt. Damals war ich in einem Bunker, der für eine speziell ausgesuchte Elite gebaut wurde um deren Überleben zu ermöglichen. Sarkastisch könnte man nun sagen, der Bunker wurde aufgelöst, jedoch die Übungen für den Krieg finden außerhalb des Bunkers jeden Tag statt. Und es gibt dann eben keinen Zufluchtsort mehr. Immerhin wird der Krieg des Alltags, von Millionen Menschen täglich neu durchlebt.

In der Politik gibt es immer mehr Stagnation und in der Gesellschaft verbreitet sich rassant Politikverdrossenheit. Es gibt zu wenig Staatsmänner, zu viele Politiker und Politikerinnen, die bei ihrer Arbeit nur an die nächste Wahl denken. Und ein tatsächlicher Staatsmann denkt an die nächste Generation.

Als ich 1997 bei der Abfahrt aus Bonn auf den Eingang des Atombunkers blickte, überkam mich nicht nur Nachdenklichkeit, sondern auch der Wunsch, dass wir uns als Menschen viel mehr um unser aller Überleben kümmern sollten. Die Gleichgültigkeit, die Gewohnheit, dieses selbstverständliche akzeptieren von Ungeheuerlichkeiten, der um sich greifende Egoismus, macht uns zur lethargischen „Bestie Mensch.“

In Diskussionsrunden wird mit Psychologen über die steigende Wut junger Menschen diskutiert. Diese Runden versuchen, anhand eines eventuellen Kindheitstraumas zu erklären, warum es eben solche Menschen gibt, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Wut ausleben. Selbst dabei ihr Leben ruinieren.

„Achtung: Denken verboten“ kommt mir bei theoretischen Fernsehdiskussionen, bei Zeitungsartikeln oder Kommentaren in den Sinn, wenn wieder etwas passiert ist. Denken verboten, abschalten vorbeigehen lassen und auf das nächste Mal warten. Derjenige der es wagt weiter zu denken, wird schnell auch in seinen eigenen Reihen spüren: Denken verboten!

Denn wer denkt, wird unangenehm, wird zum Störfaktor, fängt an zu reagieren. Wer denkt zeigt Flagge! Vielleicht sind mir auch diese Gedanken gekommen, weil ich vor vielen Jahren als Speerspitze in Bewegungen, wie in der Auseinandersetzung mit Scientology, oder im Versuch die Folgen der Systemfehler im Gesundheitswesen offen zu thematisieren, bis hin ganz klar zu dokumentieren, dass wir kein Land für Kinder sind, immer wieder erkannt habe. Es ging nie um die Sache. Es hing immer unsichtbar ein Schild über allem: „Denken verboten!“ Denn derjenige der anfängt zu denken muss aus seinem Sessel aufstehen. Er wird sich einmischen, wird Missstände anprangern und beginnen darüber zu diskutieren.

Wir entwickeln uns zum steuerbaren Roboter. So wie es aussieht, tendiert die Masse der Menschen dazu, sich selbst einen Bunker zu bauen. Damit in der kleinen,vermeintlich heilen Welt verhindert wird, über den Tellerrand zu blicken.

Die Devise „Denken verboten“ zu leben, ist viel leichter. Sie ist in – letzter Konsequenz – vielleicht auch angenehmer. Ich halte es daher mit Voltaire, der eine alte Weisheit der Römer zitierte: „Jeder Tag hat seine Plage, aber hat nicht jeder Tag auch seine eigene Freude?“

Meine Freude an jedem neuen Tag heißt: Ich gönne mir das Denken zu erlauben. Und ich gönne mir auch, es im Alter zu leben. Ich gönne mir weiterhin aufzustehen!