Wenn sich Nachdenklichkeit breit macht, uns die Vergangenheit überholt, die Gegenwart überfordert und die Zukunft überfällt – halten wir den Atem an!
Heute ist für mich so ein Tag, in der Mitte einer Woche im Dezember 2021.
Wenn ein Anruf, anstatt mit einem Hallo, mit dem Satz „sitzt du“ beginnt, schwankt die Erwartung was die Mitteilung betrifft, auf der Skala zwischen Begeisterung und Entsetzen hin und her!
In meinem Fall löste der Anruf zuerst Sprachlosigkeit und im selben Atemzug Nachdenklichkeit aus, die wurde von der Vergangenheit überholt. Ja, die Nachricht hat mich tatsächlich einen Moment überfordert und der Gedanke an die Zukunft hat mich überfallen! Und ich hielt tatsächlich den Atem an.
Nach der Mitteilung setzte ich mich tatsächlich hin. Dachte zurück an den Mittwoch vor fünf Wochen. Unser Freund Geert de Vries hatte sich auf die Reise über den Strom begeben und wir haben ihn heute vor genau fünf Wochen verabschiedet. Er wird als Mensch und Waldorflehrer große Spuren hinterlassen. Mehrere Generationen hat er ins Leben begleitet. Dankbar bin ich für die Zeit, die wir ein großes Stück des Weges zusammen gegangen sind. Es waren genau fünf Wochen her, als ich bei Geerts Verabschiedung nach langer Zeit Peter Gersbach traf. Er, ebenfalls engagierter Waldorflehrer, mit dem mich nicht nur die gemeinsame Pionierarbeit, der Aufbau der Waldorfschule Wangen verband. Wir verabschiedeten uns mit „alles Gute“ und seinen Grüßen an meine Tochter, dessen Lehrer er war.
Die Grüße habe ich ausgerichtet. Niemand ahnte, dass es die letzte Begegnung, die letzten Grüße waren. Am 10. Dezember ist er mit 68 Jahren Geert gefolgt und nun findet an diesem heutigen Mittwoch fünf Wochen später, am selben Ort seine Verabschiedung statt!
Als gestern Abend der Anruf von meinem Sohn kam, in dem er mir mitteilte, dass am Montag auch Martha Materna ihren Kollegen Geert und Peter über den großen Strom gefolgt sei, musste ich mich tatsächlich erst hinsetzen! Mit allen dreien verbindet nicht nur mich eine unglaublich wichtige, prägende, wunderbare Lebenszeit. Tatmenschen, die etwas bewegen wollten, trafen sich. Getragen von Willensstärke, Mut und Begeisterung entstand die Waldorfschule Wangen. Für mich war diese Zeit, viel mehr als die Schulzeit unserer Kinder. Auch wenn die Kinder von damals, als Erwachsene in verschiedensten Berufen und längst selbst Eltern, auf der ganzen Welt verstreut leben, die Kontakte sind nach wie vor vorhanden! Den Beweis über die enge Vernetzung untereinander, lieferte nicht nur der Anruf gestern.
Und wieder fällt mir als Trost nur ein, Hermann Hesse zu zitieren:
Es ist nie der richtige Zeitpunkt, es ist nie der richtige Tag, es ist nie alles gesagt, es ist immer zu früh! Mit dem Vertrauen, dass wir einander nie verloren gehen!