Dann gehen wir eben ins Olympiastadion, sagte ich zu den Ärzten, die mir seit 2007 ihre berufspolitischen Probleme erzählten. Mein Kopf war im Frühjahr 2008 bereits so voll mit Informationen, dass mir die ganze Geschichte schon zu den Ohren herauskam.
Die Masse der Patienten weiß auch 10 Jahre später nicht, wie dieses System tickt. Fast niemand weiß weder von dem Risiko, dass mein Mann und ich mit dem Mieten des Olympiastadion’s eingegangen sind. Genauso wenig, dass mein Mann seine Krebs OP vier Wochen verschoben hat, um den Termin zu stemmen.Für mich war damals klar: Das ist nur ein Anfang, wir müssen weitermachen! Wenn ich heute darauf angesprochen werde, weil dieser Tag im Internet weiterlebt, ist meine Antwort wie damals: Wir müssen und gegenseitig weiter informieren! So haben wir die Chance, dass wir gemeinsam Einfluss auf die Gesundheitspolitik nehmen können. Aber den meisten Hausärzten ging es um etwas anderes. Und sie verrieten die Bürgerbewegung. Ich habe das nur nicht so schnell kapiert. Der Schulterschluss zwischen Ärzten und Patienten funktionierte in jenem Jahr 2008 zum ersten Mal. Wir haben damit bewiesen, welche Macht von informierten Bürgern ausgeht, denn die Politik reagierte schnell. Leider nicht so, wie ich es gehofft hatte. Sie erkaufte sich einfach das Schweigen der Ärzte, und die ließen sich kaufen. So kam es dazu:
Vierzehn Tage nach dem Protest im Olympiastadion bekam der Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbands eine Einladung in die Staatskanzlei nach München. Die Freude bei den Ärztefunktionären war groß, jetzt kamen sie direkt an den Ministerpräsidenten heran und vielleicht sogar eine Ebene höher, denn die CSU regierte mit im Bund. Ich hörte das erste Mal, dass ein Vorstand sagte: «Jetzt haben wir es geschafft! Was geschafft? Wir standen doch erst am Anfang. Der Vorstand der Hausärzte bekam den Termin, bei dem wirklich die Prominenz anwesend war. Ministerpräsident Günther Beckstein, Sozialministerin Christa Stewens. Aus Berlin kam der Bundestagsabgeordnete Manfred Zöller und aus der Regierung Horst Seehofer, früher Gesundheitsminister, 2008 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in der Großen Koalition. Die CSU war nicht begeistert über das Olympiastadion gewesen. In wenigen Wochen war 2008 Landtagswahl in Bayern. Zwar herrschten die Christsozialen seit Jahrzehnten unangefochten, aber damals sah es mies aus. Die Partei hatte also genug Probleme am Hals, die für einen Wahlkampf reichten. Da brauchten sie nicht auch noch informierte Patienten und schon gar nicht eine mutige Ärzteschaft, die sich mit Patienten verbündete. Sie versprachen den Hausärzten, den Paragrafen 73b (Hausarztvertrag) in ihrem Sinne ins Gesetzbuch aufzunehmen. Das hatte die sofortige Entpolitisierung der Ärzteschaft zur Folge! Eine Faxaktion ging nach dieser Sitzung in der Staatskanzlei an die Praxen mit der Ansage: Plakate runter! Die Informationsplakate sollten raus aus den Praxen, kein Hausarzt sollte mehr Stimmung bei den Patienten machen. Das Angebot der Politik lautete ja: Paragraf 73b! Da war es wieder, das angebliche Lösungskürzel aller Probleme. Der Hausarztvertrag, ausgehandelt ohne die verhasste KV. Die CSU sicherte den Ärzten tatsächlich zu, den Paragrafen in ihrem Sinne ins Sozialgesetzbuch zu hieven. Das war wie eine Order, in der bayerischen Hausärzteschaft flächendeckend die Füße still und die Klappe zu halten. Ich habe damals noch Tomaten auf den Augen gehabt und immer noch versucht, das Gute zu sehen. Mir wurde ja all die Jahre verkauft, dass dieser Hausarztvertrag die nötige Rettung wäre. Natürlich hat mich die Käuflichkeit und Rückgratlosigkeit der Masse der Ärzte entsetzt, als sie jetzt ihren Papiermüll mit unseren Plakaten füllten. So, als sei nun alles gegessen. Alles geklärt. Mein Bauchgefühl warnte mich wie so oft. Deshalb reagierte ich und fing an, regionale Bürgertreffs zu gründen. Für mich war mit diesem bayerischen Vertrag, der den Hausärzten ein höheres Honorar brachte, noch gar nichts in trockenen Tüchern. Schon gar nicht, was diese Ungeheuerlichkeiten im System betraf! Ende 2008 hörte ich von einigen Ärzten, dass sie schon Sektflaschen in den Praxen kühl gestellt hatten. Es gibt eine Weisheit beim Angeln: Der Wurm muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch. Nur dann beißt er an. RH