(..) Ein weiterer toller Tipp der Beraterliga: Die Ärzte sollen sich von den Patienten anrufen lassen. Das kann man abrechnen! Besonders gut ist so ein Nachfragetelefonat am Wochenende. Also den Patienten in der Sprechstunde bitten: «Rufen Sie mich noch mal am Wochenende an, damit ich weiß, wie es Ihnen geht!» Den Ärzten wird also per Beratung beigebracht, ihre Patienten so clever zu behandeln, dass sie mehr Geld bekommen. Diese Geschäftsidee scheint immer mehr um sich zu greifen, nach dem Motto: Damit auch nichts verloren geht! Eine Beraterin drückte den Ärzten – so quasi als Extra-Nachtisch – nach der «Schulung» im November 2013 ihre Visitenkarte mit dem Rat in die Hand, dass sie sich beeilen sollten. Sie sei sehr gefragt! Zufälligerweise kenne ich diese Dame und hatte auch schon vor ein paar Jahren das Vergnügen, bei einem solchen Praxisbesuch dabei zu sein. Damals kam die Frau allerdings im Auftrag einer Pharmafirma.
An diesen Mittwochnachmittag kann ich mich noch lebhaft erinnern. Die nette Dame von der Pharmafirma kam im eleganten Hosenanzug, mit Laptop und einer Tüte vom Bäcker unterm Arm. Der Auftritt wirkte professionell, sie hätte genauso gut aus der Hochglanzbroschüre von McKinsey stammen können. Als ich ihr Outfit sah, dachte ich: Wieder eine, die meint, es langt ein Hosenanzug, um clever zu sein. Aber das lag wohl daran, dass ich Hosenanzüge hasse … Akribisch suchte sie nach Möglichkeiten, mehr Geld mit der Praxis rauszuholen. Aus der Bäckertüte zauberte sie übrigens süße Kuchenstücke und aus der Abrechnung süße Neuigkeiten für die Ärzte. Die Doctores bekamen den Mund gar nicht mehr zu vor lauter Kauen und Staunen, denn in ihrem Laden ging noch einiges!
Eine kurze Erklärung dazu: Die Abrechnung mit den Ziffern kann man nicht ins Unendliche treiben. Ab einem gewissen Betrag ist das Budget ausgeschöpft und Schluss mit der Bezahlung. In Bayern liegt dieses Regelleistungsvolumen (RLV) für Hausärzte bei ca. 38 Euro. Fragt man Fachärzte, sagen die, sie wären froh, das zu bekommen! Da liegt einer der Stachel zwischen den Ärzten.
Auch bei Hausärzten wird in den verschiedenen Bundesländern mit anderen Beträgen gerechnet. Das RLV ist die Ursache für die Aussage von vielen Ärzten: «Wir behandeln gratis!» Ist die Grenze des RLV erreicht, behandelt der Arzt den Patienten danach bis zum Ende des Quartals quasi kostenlos. Egal, ob der Patient nur einmal kommt oder zehnmal. «Flatrate-Medizin» hat deshalb einer die Behandlung von Kassenpatienten verächtlich genannt.
Das kann man mit All-you-can-eat-Angeboten von Restaurants vergleichen. Für 38 Euro kann man essen, bis man platzt. Aber es gibt eine Ausnahme, die es übrigens so ähnlich auch bei den Ärzten gibt: Die Getränke sind meistens nicht in der Flatrate drin. Die Rechnung kann also durchaus saftiger ausfallen. Die Ärzte können über Weiterbildungsmaßnahmen besondere Untersuchungen anbieten, die ihnen extra bezahlt werden. Wer sich gerne sperrige Bürokratenbegriffe merken möchte, kann das Wortungetüm «qualitätsorientierte Zusatzvergütungen» als Kürzel QZV speichern.
Die Dame mit den süßen Kuchenstückchen im Gepäck empfahl den Ärzten damals, solche Untersuchungen noch öfter zu machen. Sie sollten zum Beispiel in der restlichen Zeit des Quartals mehr Belastungs- und Langzeit-EKGs machen, da seien noch Kapazitäten im Budget offen! Auch bei den Ultraschalluntersuchungen sollten sie zulegen. Ich habe mich gefragt, wie die Ärzte das denn machen sollen. Solche Untersuchungen kann doch niemand vorhersagen! Was die Patienten brauchen und ob in den letzten Wochen des Quartals Patienten kommen, die das brauchen, stand nicht zur Diskussion. Es war der Dame im Hosenanzug auch nicht so wichtig wie die aufgepeppte Abrechnung. Was bringt aber einer Pharmafirma so eine Nachhilfestunde? Mit Sicherheit war dieser Nachmittag nicht für einen Gotteslohn. Die Dame hatte ja noch eine Stofftasche dabei. Da war aber nicht mehr Kuchen drin, sondern Proben eines neuen Medikaments der Firma und Infomaterial für Patienten.(..)
Fortsetzung folgt – bleiben Sie dran, es fängt erst an spannend zu werden!