Gesundheit

Fortsetzung 17 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

Der Bonus für die Gesunden

Die Indianer vom Stamme Nimm der Ärzte haben Cousins und Cousinen unter den Patienten: die Schnäppchenjäger. Sie wollen etwas aus diesem Gesundheitssystem rausholen. Denn gefühlt hat es ihnen bisher nicht viel geholfen. Eine Bekannte kam mal zu mir und streckte mir sehr offensichtlich ihre Füße entgegen. Es war Sommer, ihre Füße steckten in offenen Sandalen, und die Zehen klimperten aufreizend. «Na? Wie findest du meine Füße?», fragte sie mich. Ich wusste nicht, was sie meinte. Hatte sie neue Schuhe gekauft? «Ich war bei der Fußpflege!», klärte sie mich auf, nachdem ich nicht selbst auf diesen weltbewegenden Unterschied gekommen war. Ich muss gestehen, dass ich den Leuten nicht so oft auf die Fußzehen starre! Aber das war wirklich eine Neuigkeit: Fußpflege! Meine Bekannte hatte noch nie davon gesprochen. Wie sich dann herausstellte, war sie in ihren über fünfzig Lebensjahren auch noch nie dort gewesen. Doch eines Tages hatte sie entdeckt, dass ihre Krankenkasse Fußpflege-Prozente für ihre Mitglieder anbietet, und zugeschlagen. «Wer zahlt das?», fragte ich sie und bekam die gleiche Antwort wie von den Frauen beim Pilates-Kurs: «Das ist mir egal! Wenn ich schon nicht krank werde, dann muss ich schauen, wie ich mein Geld wieder rauskriege!» Die Kassen haben uns Schnäppchenjäger sehr schnell durchschaut. Ganze Bonushefte mit Rabatten werden angeboten. Mitglieder können sogar in Restaurants billiger essen. Als ich begonnen habe, mich mit dem Gesundheitssystem zu befassen, wollte ich die Patienten aufklären. Daraus ist eine Bürgerinitiative entstanden, und es gibt Treffen überall in Deutschland, in denen sich Patienten über das Gesundheitssystem austauschen

und informieren. Diese Abende haben meistens ein Thema, und danach sitzt man noch zusammen. Im bayerischen Schwaben hatte sich eine Gruppe in der Volkshochschule getroffen und mich zu einem Vortrag eingeladen. Danach wollten wir gemeinsam eine Pizza essen gehen. «Aber wir gehen schon dahin, wo es billiger ist!», sagte eine Teilnehmer in und wedelte mit dem grünen Heft. «Wer ist denn noch alles bei der AOK?» Vier oder fünf waren dabei, und die wälzten zusammen das Heft auf der Suche nach einer im AOK-Heft aufgeführten Pizzeria. Dann fing ich wieder mit dem Solidarsystem an: «Wieso müssen wir jetzt dahin gehen?» Ich kann da sehr penetrant sein, denn wir verstehen immer weniger, was die Kassen für uns leisten sollen. Es ist doch nicht wichtig, dass ich günstiger «Holiday on Ice» sehen und billiger das Legoland besuchen kann. Für mich ist wichtig, dass mich mein Arzt richtig behandeln kann und ihn sein Computer nicht nach fünf Minuten daran erinnern muss, dass hier ein Schnäppchenjäger vor ihm sitzt und mehr Behandlungszeit für ihn nicht mehr drin ist. Die Werbegeschenke werden bezahlt aus dem Topf, in den wir alle mit dem Vertrauen einzahlen, dass dieses Geld da sein wird, wenn wir Hilfe brauchen. Vielleicht haben Sie selbst gemerkt, dass es absurd ist, den Gesunden Ermäßigungen zum Beispiel für fettige Pizzen und Eintrittskarten zu geben. Ein aktuelles Bonusprogramm verteilt Punkte für Untersuchungen und Sport. Sportvereine, Fitnessstudios und Ärzte können ihren Stempel reinsetzen, und die Fleißigen dürfen sich dann eine Prämie aussuchen. So umwerfend ist das Angebot eigentlich nicht, es erinnert stark an die Qualität der Leser-werben-Leser-Prämien, die Tageszeitungen anbieten. Für die Fleißigen gibt es bei manchen Kassen eine kleine Kaffeemaschine (Zitat: «Lecker!»), für die Mittelerfolgreichen ein Blutdruckmessgerät, und am hinteren Ende ist manchmal eine Gartenschere oder eine Zitruspresse drin. Eine Gartenschere? Eine Zitruspresse? Das ist nichts, was ich als lebensnotwendiges Angebot meiner Krankenkasse betrachte. Aber anscheinend funktionieren diese Prämien prächtig. «Manche Patienten sind richtig geil drauf!», sagte ein Arzt zu mir, «die fragen mich immer nach Stempel und Unterschrift.» Natürlich wird hier das Gegenargument gebracht, da gehe es um Prävention. Ziel sei, dass die Leute gesünder leben, das komme der Allgemeinheit zugute. Ich bin aber selbst für meine Gesundheit verantwortlich. Ich habe mir ein Fahrrad gekauft, um mich zu bewegen, und zahle meinen Pilates-Kurs selbst, weil es mir gut tut. Da muss mir die Krankenkasse keine Gartenschere hinhalten wie der Bauer dem Esel eine Karotte. In Wirklichkeit sind es ganz gezielte Marketinginstrumente, um die Leute an ihre Krankenkasse zu binden. Oder zum Wechseln zu animieren. Denn diese Lockangebote spielen mit dem Egoismus und unserer Gier nach Schnäppchen.

Fortsetzung folgt: Kapitel „Sirenenschreie“

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Fortsetzung 16 aus meinem Buchkapitel (Vom Patienten zum Schnäppchenjäger) “Der goldene Skalp”

Vom Patienten zum Schnäppchenjäger

Jetzt möchte ich gerne mal Ihnen eine Frage stellen: Für wen bezahlen Sie eigentlich Ihren monatlichen Kassenbeitrag? Ich bin viel als Referentin zu Vorträgen unterwegs, und auch da frage ich mein Publikum: Wer glaubt, dass er seine Kassenbeiträge für sich selbst einzahlt? Meistens strecken dann 90 von 100 Zuhörerinnen und Zuhörern die Hand in die Höhe. Wenn Sie sich meinem Publikum jetzt angeschlossen haben, muss ich Sie leider enttäuschen. Sie zahlen nicht für sich! Das ist der erste Irrtum über das Solidarsystem. Nein, eigentlich ist es der Irrtum in unserer Gesellschaft. Ihr Geld zahlen Sie in einen großen Topf ein. Und aus diesem Topf werden alle bedient, die Hilfe brauchen. Die Gemeinschaft steht ein für die Schwachen. Die Jungen bezahlen für die Alten. Die Gesunden bezahlen für die Kranken. Keiner für sich selbst. Dieses System ist aber ziemlich in Vergessenheit geraten. In dem Film «Sicko» macht sich der amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore auf den Weg nach Europa und versucht dort, die Gesundheitssysteme in England und Frankreich zu verstehen. Ihm gehen fast die Augen über, als die Leute ihm erzählen, dass in der Notaufnahme in einem englischen National – Health – Service-Krankenhaus niemand eine Rechnung bezahlen muss. Die Krankenversicherung kommt dafür auf, egal wie schwerwiegend die Verletzung ist. Der Amerikaner staunt Bauklötze, und die Europäer erklären ihm belustigt die Formel: Jeder nach seinen Bedürfnissen.

Das klingt schon sehr nach Karl Marx. Und irgendwie ist man versucht, dieses verstaubte Wort «Solidarität» samt seinem Marx-Muff in der Rumpelkammer zu entsorgen, in der die ganzen anderen überholten Ideen der Weltgeschichte abgestellt und vergessen worden sind. Tatsächlich ist unser Solidarsystem aber noch nicht ganz abgestellt, sondern am Arbeiten. Es verhindert, dass wir uns verschulden müssen, wenn wir uns mit einer Kreissäge einen Finger absägen oder mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht werden. Es ist wie ein Fallschirm, den wir bei einem Sprung aus dem Flugzeug auf dem Rücken tragen. Diesen Fallschirm hat uns die Familie der gesetzlich Versicherten geschenkt. Leider sind wir uns dessen nicht mehr bewusst. Unsere Familie ist uns fremd geworden, und wir kennen den Wert des Fallschirms nicht mehr. Darum ist unser Solidarsystem zum Tode verurteilt. Mitte der 1990er-Jahre ist die Krankenversicherungskarte eingeführt worden, und jetzt steckt sie in unserem Geldbeutel wie selbstverständlich neben unserer Bankkarte. Diese beiden Karten haben eines gemeinsam: Wir verlieren das Gefühl für den Wert der Dinge. Wenn ich bargeldlos einkaufe, merke ich erst, dass ich mich übernommen habe, wenn das Konto leer ist und die Karte nicht mehr akzeptiert wird. Es gibt Leute, die interessiert überhaupt nicht mehr, was auf ihrem Konto drauf ist. Sie schieben einfach nur noch die Karte in den Leser und lassen abbuchen. Und so machen wir das mit unserer Krankenkassenkarte auch. Ich stecke sie ein und bekomme das volle Angebot der Medizin quasi gratis. Was dahinter steckt, bekomme ich nicht mehr mit. So verlieren wir das Bewusstsein dafür, dass wir Verantwortung für dieses System tragen. Wir schauen nur noch auf den Profit. Wir ärgern uns nur noch über die Abzüge für die Krankenversicherung, von denen wir auf unseren Gehaltszetteln lesen. Aber wir bekommen nicht mit, wie viel Geld die Solidargemeinschaft für uns beim Arztbesuch investiert oder bereits investiert hat. Eigentlich haben wir nach unserer Geburt und Kindheit bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir das erste Mal einzahlen, schon einen großen Kredit aufgenommen, den wir der Gemeinschaft schulden. Aber dieser Wert ist uns nicht bewusst, weil wir die goldene Karte besitzen und scheinbar alles gratis ist. So werden wir entmündigt und entfremdet von diesem Solidarsystem. Die Ärzte glauben, dass sie zu wenig bekommen. Bei uns ist es umgekehrt: Wir denken, dass uns das alles viel zu viel Geld kostet. Und so stehen wir vor einem großen Irrtum. Das Solidarsystem arbeitet zwar noch und verteilt unser Geld um. Aber es existiert nicht mehr. Nicht mehr in unseren Köpfen, denn dort herrscht schon die Denkweise des Marktes, und die lautet: Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich habe das bei einem Pilates-Kurs erlebt. Unter den ganzen Teilnehmerinnen war ich die einzige, die den vollen Betrag von 75 Euro bezahlt hat. Alle anderen hatten einen Zettel von der Krankenkasse dabei und dafür einen ordentlichen Rabatt bekommen. Ich habe die anderen damals gefragt: «Aus welchem Grund soll das Solidarsystem Ihnen den Kurs zahlen?» Die haben mich vielleicht angeschaut! Und es kam sofort die Retourkutsche: «Hören Sie mal! Ich habe jetzt jahrelang eingezahlt und habe noch nie etwas rausgeholt.» Man könnte weiter formulieren: «Das steht mir zu! Das habe ich verdient!» Diese Haltung kommt mir sehr bekannt voraus den Gesprächen mit Ärzten.(..)

Fortsetzung folgt — Kapitel: Der Bonus für die Gesunden

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Kapitel 15 ( Nichts mehr wert) aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

Nichts mehr wert

Diese Angst kommt von der Unsicherheit, ob man noch die nötige Hilfe bekommen wird. Das Gesundheitssystem hat dabei grundlegend das Verständnis vom Menschen und seiner Gesundheit verändert. Eigentlich sind wir für das Gesundheitssystem keine Menschen mehr. Das Märchen vom Solidarsystem erzählt uns immer, dass jeder getragen wird und die Hilfe bekommt, die er braucht. Das stimmt aber nur bedingt. Der Mensch an sich hat keinen Wert mehr, behandelt zu werden. Der Frau mit dem Knoten am Hals war nicht mehr bewusst, dass sie als Mensch ein Recht auf eine Behandlung hat. Stattdessen glaubte sie, dass sie ihrem Arzt zur Last fallen und sein Budget sprengen würde. Die Optimierer des Systems haben nicht nur den Bergdoktor umgebracht, sie erobern auch gerade Zentimeter für Zentimeter unser Selbstverständnis. Für mich ist es elementar für die Würde des Menschen, dass wir das Recht haben, in unserer Not behandelt zu werden. Dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, um Menschen gesund zu machen. Doch diesen Wert besitzen wir nur noch bedingt. Nämlich nur solange wir unsere Gesundheitskosten nicht überstrapazieren. Und jetzt haben wir Angst, dass eines Tages unser Konto aufgebraucht sein wird. Genau diese Angst der Unbezahlbarkeit wird uns immer wieder suggeriert. Jetzt muss natürlich prompt der Einwand kommen, dass in Deutschland kein Notfall abgewiesen werden darf. Vor etwa zwei Jahren habe ich jedoch einen Brief von einer Frau bekommen, die eine andere Geschichte erzählte. Sie war stinksauer und verzweifelt. Ihr Mann hatte schwer krank vier Monate lang im Krankenhaus gelegen: Infekte der Lunge, Schlaganfall und wieder neue Infekte. Im August 2012 wurde er aus dem HELIOS Klinikum Emil von Behring in Berlin entlassen. Die Klinik faxte den Arztbericht an den weiterbehandelnden Hausarzt. Einen Tag später rief Frau A. den Hausarzt an, um die weiteren Schritte zu besprechen. Ob sie in die Praxis kommen solle, fragte sie die Arzthelferin. Die Antwort, die sie bekam, hätte sie im Leben nicht erwartet: «Nein», hçrte sie aus dem Hçrer. «Der Herr Doktor behandelt Ihren Mann nicht mehr, holen Sie alle Unterlagen ab, sie liegen bereit!» Frau A. war keine überforderte, uninformierte Patientin. Sie kannte das System, denn sie hatte ein Jahrzehnt als Chefsekretärin eines Klinikchefs gearbeitet. Sie hatte viel erlebt, aber doch nicht genug, um das zu erwarten, was sie jetzt am Telefon hörte. Ihr Mann war dreißig Jahre lang pflichtversichert. Jetzt wurde er, kurz nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, von seinem Hausarzt einfach vor die Tür gesetzt! Sofort machte sie sich auf den Weg in die Praxis. Als ihr am Tresen kommentarlos die Unterlagen ihres Mannes überreicht wurden, öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer. Der Arzt kam heraus, das war ihre Chance! «Warum lehnen Sie die weitere Behandlung meines Mannes ab?», fragte sie ihn. Er erwiderte kurz: «Wenn ich das sehe, die vielen Medikamente, die Ihr Mann bekommen soll, das mache ich nicht! Das kommt gar nicht in Frage, das ist eine Luftnummer!» Ihr Mann –eine Luftnummer? Für den Arzt war er nur noch ein Patient, der kein Geld brachte. Stark behandlungsbedürftig, teure Medikamente, viele Hausbesuche.

Zwischen Entsetzen und Verzweiflung fragte sie den Arzt: «Vereinbart sich Ihr Handeln mit der ärztlichen Ethik und der Fürsorgepflicht? Fast dreißig Jahre lang war mein Mann bei Ihnen Patient, und nun lehnen Sie ihn einfach ab, das ist nicht in Ordnung.» Der Arzt antwortete nicht mehr, sondern verschwand grußlos in seinem Zimmer. Der ganze Wortwechsel spielte sich am Tresen der Praxis ab. Etwa einen Meter entfernt saßen Patienten auf Besucherstühlen. Dass sie miterlebten, wie der Arzt einen Patienten vor die Tür setzte, stçrte weder den Herrn Doktor noch die Angestellte. Die beschäftigte mittlerweile eine andere Sache. Sie bat Frau A. um ihre Versichertenkarte. «Versichertenkarte, das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?», fragte Frau A. und reimte sich zusammen, was das sollte: Der kurze Streit auf dem Flur war schon der notwendige persönliche Kontakt, den der Arzt brauchte, um eine Zahl eintragen und abrechnen zu können. Die wollten doch tatsächlich für die Abweisung ihres Mannes noch Honorar verlangen, wozu sie die Karte einlesen mussten. Sie verließ kopfschüttelnd die Praxis, unter ihrem Arm die Unterlagen ihres Mannes. Die Frau hat später der Kassenärztlichen Vereinigung geschrieben, die diesem Herrn die Kassenzulassung gegeben hatte. Eine Antwort bekam sie nicht. Für mich ist das die Perversion unseres Gesundheitssystems. Ärzte und Patienten haben sich beide diesen Wahnsinn nicht ausgedacht. Die Kassenmitglieder können auch nicht entscheiden, was an Honoraren bezahlt wird. Genauso gut kann ein Arzt oder eine Ärztin nicht dauernd ein Minus erwirtschaften oder riskieren, wegen zu teurer Behandlungen die Kontrolleure der Kassenärztlichen Vereinigung auf der Matte stehen zu haben. Es sind die Rahmenbedingungen, die das vorgeben. Und das Verrückte ist, dass wir uns nicht als Opfer dieses Wahnsinns verbünden und die Entscheider zwingen, etwas zu ändern. Sondern wir lassen uns als Feinde gegeneinander in Position bringen. Der schlafende Riese Patient könnte viel bewegen, wenn er nur aufwachen würde. Das tut er aber (noch) nicht. Stattdessen lässt er sich einlullen von den Gutenachtgeschichten der Krankenkassen, dass er von diesem System profitieren könne. Er muss dazu nur vergessen, dass er Patient ist, und seine wahre Natur annehmen: die des Schnäppchenjägers. (..)

Fortsetzung folgt Kapitel: Vom Patienten zum Schnäppchenjäger

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Fortsetzung 14 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

Die Wut der Ärzte

Vielleicht wundern Sie sich, dass es in diesem Kapitel nur um Bürokratie und Gewinn geht. Genauso habe ich mich in den acht Jahren immer wieder wundern müssen, in denen ich über das Gesundheitssystem recherchiert habe. In fast allen Diskussionen mit Ärzten ging es nur ums Geld. Das ist Fakt. Tatsächliche Ausnahmen sind die wenigen Ärzte oder Ärztinnen, die ich als Minderheit bezeichne. Mit denen ich gerungen habe um die Wörter Arzt und Patient, darum, Mensch und Menschlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Die bereit sind, diesem System die Stirn zu bieten, selbst mit der Gefahr des Existenzverlustes im Nacken. Auch die gibt es, und auch darüber werde ich in der Folge noch berichten! Bei der Masse der Ärzte stehen aber die Patienten hinter der Bürokratie zurück. Es wird gesucht nach unausgeschöpften Geldquellen, nachdunklen Abrechnungsecken, in die niemand so schnell reinschauen kann. Es wird geplündert, was nicht niet- und nagelfest ist. Denn es steht ihnen ja zu. Die Haltung der Masse ist: Wir leisten mehr, als wir verdienen. Wir werden betrogen!

Natürlich ist diese Ansicht bis zu einem gewissen Grad berechtigt. Männer und Frauen müssen sechs Jahre studieren, um Arzt werden zu können. Sie fangen viel später an, für ihre Altersvorsorge Rentenbeiträge zu bezahlen. Keine Frage, dass ihre Ausbildung honoriert werden muss. Ich hatte bei einem Vortrag in Nordrhein-Westfalen eine Begegnung, die mir geholfen hat, diese Unzufriedenheit zu verstehen. Nach einer Veranstaltung saß ich noch mit einer Gruppe Doktoren zusammen. Dabei kam ich ins Gespräch mit einem jungen Mann, etwa Ende dreißig, der mir erzählte, dass er seine Praxis in der dritten Generation führt. Er hat sie von seinem Vater übernommen und der wiederum von seinem Großvater. Dieser junge Mediziner hat mich auf den Trichter gebracht, woher dieses Gefühl bei den Ärzten kommt, dass ihnen etwas vorenthalten wird. Seine Enkelpraxis ist im Vergleich zu der seiner Vorfahren ein optimiertes Klein-Unternehmen. Die ganze Verwaltung erfolgt elektronisch, Papier gibt es nicht mehr. Seine Arzthelferinnen, die mittlerweile medizinische Fachangestellte heißen, hat er von Coaches ausbilden lassen, dass sie am Tresen individuelle Gesundheitsleistungen verkaufen – die schon erwähnten IGeL – Leistungen, die die Patienten aus eigener Tasche bezahlen, ohne dass der Arzt das mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen muss. Daran ist absolut nichts Verwerfliches, wenn Patienten zusätzliche Leistungen wollen und da für direkt bezahlen. Dieses Beispiel soll nur zeigen, wie dieser junge Mann seine Praxis führt. An dem Abend sagte er zu mir:«Mein Großvater war schlechter ausgebildet als ich. Und er hat genauso viele Patienten gehabt wie ich. Aber er hat damals das Zehnfache verdient.» Ich habe den Eindruck, dass diese goldene Vergangenheit den ganzen Berufsstand fasziniert. Es sind Geschichten, die sich die Doktoren gerne erzählen – wie Lagerfeuer – Geschichten über die großen Erfolge von damals! Und so jagen sie dem verlorenen Paradies nach und berichten, wie früher alles besser war. Da gab es noch richtige Geschenke der Pharmafirmen! Ein Arzt saß mal in meinem Büro und hat geschwärmt von einem Pharmareferenten, der früher eine ganze Garage voll mit Geschenken der Firma hatte. Sogar eine Komplettausgabe des Brockhaus war dabei, für einen Arztsohn, der damals Abitur gemacht hatte. Dieser Blick zurück verschleiert, dass der Stamm Nimm auch heute noch ganz gut bedient wird. Heute verlangt die Pharmafirma von ihm zwar 75 Euro für eine dreitägige Fortbildung in Berlin, um nach außen zu demonstrieren: Arzt zahlt selbst. Nur dass es sich bei dem Preis um mehr als nur ein Schnäppchen handelt, wird verschwiegen. Denn es sind Verpflegung, Flug, Hotelübernachtung und Freizeitprogramm inklusive. Die goldene Vergangenheit ist der Maßstab. Da war man noch wer! Ein Herr Doktor oder ein Halbgott in Weiß! Da bekam man von der Gesellschaft die Anerkennung und die Privilegien, die einem zustanden! Und natürlich richtig viel Geld. Das alles fehlt heute und macht unzufrieden. Diese nagende Unzufriedenheit muss irgendwann mal raus. Unzufriedene Ärzte kenne ich jede Menge – sie sind wütend auf das heutige Gesundheitssystem. Und diese Wut entlädt sich an denen, die die Ärzte irrtümlich für die Nutznießer halten: an den Kassenpatienten!

Ich habe so viele verächtliche Kommentare von Ärzten über Kassenpatienten gehört, dass ich froh bin, dass die Patienten nicht wissen, was manche Ärzte über sie reden, wenn mal zehn zusammen an einem Tisch sitzen. Sie leben von uns Kassenpatienten, aber das vergessen sie gerne sehr schnell wieder. Sie tun so, als wäre es etwas ganz Tolles für Kassenpatienten, von ihnen behandelt zu werden. Dass es eigentlich eine Ehre für uns sein müsste, dass sie uns ins Behandlungszimmer bitten, wo wir doch schuld an ihren geringen Honoraren sind. Das macht ein schlechtes Gewissen und erzeugt Angst. Diese Woche hat mich eine Frau aus Wismar angerufen. «Frau Hartwig, ich habe hier einen Knoten am Hals, und ich habe Angst!» Ich habe sofort abgeblockt und wollte mich nicht auf das Gespräch einlassen, weil ich medizinische Fragen weder beantworten will noch kann. Ich habe höchsten Respekt vor der Ausbildung der Ärzte, und für solche Fragen fehlt mir die Kompetenz – ich habe nicht Medizin studiert. «Da sind Sie bei mir vollkommen falsch, da müssen Sie zum Doktor! Wieso rufen Sie bei mir an?» Dann sagt sie: «Ich rufe nicht wegen des Knotens an! Mein Doktor hat mir schon im letzten Quartal gesagt, dass ich wegen meiner anderen Diagnosen zu teuer bin.» Und jetzt hatte sie Angst, dass sie mit ihrem Knoten noch teurer wird, und wollte meinen Rat, ob der Arzt sie wegschicken oder ihr Medikamente verweigern kann. «So ein Blödsinn!», habe ich ihr gesagt. «Sie gehen jetzt zum Arzt!» Ich habe mindestens zwanzig Minuten mit der Frau telefoniert, solche Angst hatte sie. Ich sollte mal aufschreiben, was mir Patienten auf den Anrufbeantworter sprechen. Und der ist jeden Morgen neu voll. Ich bin überzeugt, dass diese Frau, bevor sie die Türklinke in die Hand genommen hat und in die Praxis rein gegangen ist, noch mit sich kämpfen musste. Dabei hat sie ganz vergessen, dass sie und die anderen Kassenpatienten diesen Arzt finanzieren. Er hat sich dafür entschieden, Kassenpatienten zu behandeln, und eine Kassenzulassung beantragt. Freiwillig, er wurde nicht dazu gezwungen. Er weiß, dass jeden Tag Patienten in seine Praxis kommen. Andere Selbständige wissen nicht, ob sie jeden Tag einen Auftrag haben werden. Darum finde ich diese Haltung gegenüber Kassenpatienten schlichtweg charakterschwach. Aber viel wichtiger ist die Frage, woher die Angst der Patientin kommt.

Fortsetzung folgt …….mit Kapitel “Nichts mehr wert”

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Fortsetzung 13 aus meinem Buch „Der goldene Skalp

(..) Es war nicht das letzte Mal, dass ich Angehörige dieses bisher noch selten erforschten Stammes Nimm getroffen habe. Ein Markenzeichen sind ihre großen Stofftaschen, die sie zu Veranstaltungen mitbringen. Auf Ärztekongressen und Hausarzttagen sind im Foyer viele Firmen aus der Pharma- und Medizinbranche vertreten, die Werbegeschenke verteilen: Lineale, Blöcke, Radiergummis, Bleistifte, Bonbons, Kugelschreiber. Es sind nicht wirklich Kostbarkeiten, aber für viele Ärzte scheinen sie immensen Wert zu besitzen. Mir kam es manchmal vor, als wäre eine Mannschaft Messies auf Betriebsausflug. Auf einer Veranstaltung in Essen griff neben mir ein Arzt mit beiden Händen in eine Kiste mit Kugelschreibern. Er machte so reiche Beute, dass selbst seine Enkel niemals Mangel an Kugelschreibern leiden werden. «Wie viele Praxen haben Sie denn, dass Sie so viele Stifte brauchen?», fragte ich ihn damals. Er meinte nur: «Wieso? Die kosten doch nichts!» Die Stofftaschen – die sie von den Firmen übrigens auch geschenkt bekommen – waren gut gefüllt an diesem Tag in Essen. Das ist natürlich zum Schmunzeln. Ich habe aber auch ärgerlichere Situationen erlebt. Ich habe schon mehrere Bücher über das Gesundheitssystem und seinen Irrsinn geschrieben. Eins erschien im Verlag meines Mannes. Ende 2013 hat mich unser Steuerbüro darauf aufmerksam gemacht, dass noch viele Buchrechnungen offen seien. Es hat meinem Mann sehr empfohlen, Mahnungen zu schreiben. Ich habe die offenen Rechnungen durchgesehen und gedacht: Da kann jetzt keine Mahnung raus. Denn das waren überwiegend Bestellungen von Ärzten, einige davon kenne ich gut! Es wäre besser, das direkt zu klären, habe ich gedacht und zum Telefon gegriffen. Mein erster Anruf war bei einem Arzt in München, der vor zehn Monaten ein Buch von mir bestellt hatte. «Da ist noch eine Rechnung offen vom letzten Jahr», habe ich ihm am Telefon gesagt. Er wusste von keiner Rechnung. «Sie haben doch ein Buch bestellt!» Daran konnte er sich erinnern und plötzlich auch daran, was mit der Rechnung passiert ist: «Die habe ich weggeschmissen!» Wie bitte?, dachte ich. «Wieso schmeißen Sie die Rechnung weg?» Da wurde er plötzlich ungehalten: «Wieso soll ich das Buch bezahlen?», fragte er.«Ich lege es doch nach dem Lesen in mein Wartezimmer und mache so Werbung für Sie! Das bezahle ich nicht!» Es gibt nicht viele Momente, in denen ich sprachlos bin. Das war einer davon.

Der hat gar nicht geschnallt, worum es geht, und mir das auch noch dreist ins Gesicht gesagt! Er glaubt, er kann einfach ein Buch bestellen und muss es nicht bezahlen! Ich habe ihn ja nicht dazu gezwungen, es zu lesen! Aber leider ist dieser Arzt kein Einzelfall. Aus dem Jahr 2008 gibt es noch einige Hundert Euro an Außenständen im Verlag meines Mannes, die von Ärzten und deren Bestellungen meiner Kinderbücher stammen. Wenn ein Arzt zu mir am Telefon sagt, dass er eine Buchbestellung nicht bezahlen will, dann ist das eine Haltung, mit der ich nicht umgehen kann. Da geht es nicht darum, ob er die achtzehn Euro bezahlt. Sondern es geht um genau die Haltung, die Ärzte einnehmen, den Vorwurf, den sie erheben: dass ihre Leistung nicht ordentlich bezahlt wird! Umgekehrt jedoch lassen sie es nicht gelten! Eine der Erfahrungen, an denen ich lange zu knabbern hatte!

In der ganzen Sache schien es bei vielen Ärzten keinerlei Unrechtsbewusstsein mehr zu geben. Ich saß bei dem oben angeführten Telefonat fassungslos da, und wenn ich mal sprachlos bin, dann geht es wirklich an die Substanz. Denn wenn ich überlege, was ich in den letzten Jahren im Umfeld der Ärzteschaft erlebt habe, kann einem echt die berühmte Spucke wegbleiben. Wie oft habe ich die Klage gehört, was wir Patienten uns eigentlich einbilden, uns so gut wie kostenlos von ihnen behandeln zu lassen. Aber dieser Arzt sah, wie vieler seiner Kollegen, den Balken im eigenen Auge nicht. (..)

Fortsetzung folgt – mit dem Kapitel: “Die Wut der Ärzte“

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Fortsetzung 12 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

Die Langfinger vom Stamme «Nimm»

«Ich bekomme immer noch zu wenig!», hat der Doktor gesagt. Darüber müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen. Wenn ich Ärztin wäre und hätte einen Patienten, der immer sagt:«Ich muss mir das nehmen, was mir zusteht!», würde ich ihm raten, über seine Lebenssituation nachzudenken. Es kann einfach nicht gesund sein, immer zu glauben, dass mir etwas vorenthalten wird! Ich bin aber keine Ärztin, und es sind komischerweise gerade die Ärzte, die immer wieder betonen, dass sie nicht bekommen, was sie verdienen. Das scheint sich in den Köpfen viel er schon so fest gebissen zu haben, dass ich Situationen erlebt habe, mit denen ich einen ganzen Abenteuerroman über die Langfinger vom Stamme Nimm füllen könnte. Ich habe eine Einladung einer Pharmafirma bekommen, weil die Ärzte sich – nach der Weiterbildung – von mir einen Vortrag aus meiner Sicht über den weißen Tellerrand wünschten! Bei Pharma-Veranstaltungen bekomme ich eigentlich immer Bauchschmerzen und habe – bis auf diese – jedes Mal Nein gesagt. Aber weil sich die Ärzte gewünscht haben, dass ich komme, bin ich hingefahren. Das Treffen fand in einem Hotel in Stuttgart statt, es hätte aber genauso gut ein Hotel in der Karibik sein können. Alles sah aus wie in der Raffaello Werbung. Die Tische waren in strahlend weiße Decken gehüllt, und über die Terrasse war ein blütenweißes Sonnensegel gespannt. Ich habe zuerst gedacht, dass hier für eine andere Veranstaltung gedeckt ist. Auf der Einladung stand: «Mit kleinem Imbiss.» Eben kleinere Häppchen oder belegte Brötchen. Mein Mann hatte mich begleitet und meinte zu mir, dass er während meines Vortrags in die Stadt fahren wolle, um zu Abend zu essen, denn Häppchen sind nicht sein Ding nach einem langen Arbeitstag! Er hätte ruhig bleiben können, denn nach dem Vortrag wurde unter weißen Sonnensegeln kräftig aufgetischt. Es gab ein Drei-Gänge-Menü. Zu den angerichteten Tellern kamen üppige Platten mit Spätzle, Kroketten, Kartoffeln, Gemüse und Fleisch auf die Tische. Zum Nachtisch konnte man zwischen Karamellpudding und Eis wählen. Es waren locker hundert Ärzte anwesend. Nach dem Essen stupste mich mein Tischnachbar an und zeigte auf mein Stuhlbein. Das stand genau auf der Schlaufe seines Rucksacks, und den brauchte er jetzt. «Oh, Entschuldigung!», sagte ich und rückte zur Seite. Er nahm den Rucksack auf seinen Schoß, klappte ihn auf und schaute den Tisch entlang zu seinen Kollegen. «Sind alle fertig?», fragte er und bekam allerseits ein Nicken zur Antwort. Dann griff er in den Rucksack, zog drei Tupperboxen raus und begann, stehend Fleisch und Spätzle von den Platten einzupacken. Ich war etwas überrascht, dass mein Tischnachbar für schlechte Zeiten vorsorgen musste. «Das ist das Mittagessen für morgen. Dafür gibt es ja die Mikrowelle», meinte er. Als er dann auch noch die Kroketten in seine Boxen schaufelte, siegte in mir die Genießerin. «Die können Sie doch nicht mehr warm machen! Die schmecken dann doch wie eingeschlafene Füße!» Alte Kroketten sind zäh wie Gummi! Aber meinen Kochkünsten wollte er nicht vertrauen und verstaute seine Notration im Rucksack. Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, nach dem Essen ein Buffet zu plündern und dafür vorsorglich Tupperdosen mitzunehmen. Aber an dem Tag war ich offensichtlich die Einzige, die sich gewundert hat. Für die anderen war das völlig normal. Als mein Nachbar seine Boxen gezückt hatte, war das sogar ein Startschuss. Die versammelte Runde war plötzlich in Bewegung. Einen Tisch weiter tippte einer seine Frau an, und die zog eine Rolle Alufolie aus ihrer Handtasche. Eine ganze Rolle! Wenn Sie das nächste Mal eine Raffaello – Werbung im Fernsehen sehen, dann müssen Sie sich nur vorstellen, dass, während im Vordergrund die weiß gekleidete Schönheit der Karibik Highsociety eine Kokoskugel nascht, im Hintergrund eine Gruppe von Männern und Frauen Pralinen in Plastikdosen einpackt oder in Alufolie einschlägt. Etwa so sah das damals in diesem weiß verpackten Stuttgarter Nobelhotel aus. (…)

Fortsetzung folgt -mit einem ungetrübten Blick auf eine Seite über die so mancher Arzt nicht gerne spricht.

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Fortsetzung 11 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

(..) Es gibt noch mehr Möglichkeiten zu betrügen. Eine beliebte Methode sind Hausbesuche.Ich habe das selber in Abrechnungen gesehen, weil ein paar Ärzte mir ihre gezeigt haben. Da habe ich dann gemerkt, dass einige Ärzte anscheinend kaputte Uhren tragen, die bei einer bestimmten Uhrzeit stehen geblieben sind und einfach nicht weiterlaufen wollen. Ab einer bestimmten Uhrzeit gibt es nämlich mehr Geld. Das sind dann Notfälle zur Unzeit, wenn der Arzt ab 19 Uhr oder ab 22 Uhr zu einem Patienten muss.Für alle diese Uhrzeiten gibt es natürlich im EBM eigene Abrechnungsziffern und nachher unterschiedlich viele Euro für den Einsatz.Der Trick ist also, einfach öfter eine falsche Uhrzeit einzutragen. Wer soll es auch kontrollieren? Wir Patienten sehen niemals eine Rechnung. Nirgendwo ist vermerkt, wann der Arzt bei uns vor der Tür steht. Ein Arzt hat mir sogar ganz offen die Strategie erklärt: «Man darf es nur nicht übertreiben», meinte er. «Wenn du überall um acht hingehst, fällt das auf!» Also gibt er von drei Hausbesuchen am Nachmittag einen als Notfall zur Unzeit an. Ich habe damals zu ihm gesagt: «Das ist doch Beschiss!» Er meinte nur: «Wieso Beschiss? Selbst wenn ich bescheiße, bekomme ich immer noch zu wenig für das, was ich leiste!» (…)

Fortsetzung folgt: Das nun folgende Kapitel zeigt einen Blick auf Situationen, bei denen ich erst einmal meinen Kopf schütteln musste, danach konnte ich nur staunen, bis sich am Ende Fassungslosigkeit breit gemacht hat! Egal mit wem ich in Ärztekreisen sprach, niemand war erstaunt, denn jeder kannte solche Vorgänge. 

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Fortsetzung 10 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

(..) Wenn ehrlich nicht mehr hilft, dann halt unehrlich. Wenn Sie sich jetzt über die Beispiele ärgern, dann muss ich Sie aber daran erinnern, dass diese  Ärzte immer noch mit legalen Mitteln arbeiten. Es geht aber auch anders – man kann auch wunderbar tricksen, wobei das noch der vornehme Ausdruck ist. Ich würde es lieber so ausdrücken: Man kann auch wunderbar betrügen, um mehr Geld für seine Patienten zu bekommen. Und das machen nicht wenige. Hört man den Ärzten zu, dann machen es sogar alle. Das sagten mir Ärzte, die solche Abrechnungen einreichen. Immer mit der Entschuldigung: «Das machen doch alle!» Erst vor kurzem war ich bei einem Treffen von  Ärzten in  Süddeutschland. Ich hatte aber eher das Gefühl, an den Stammtisch eines Wolfsrudels geraten zu sein. Alle trugen   Outdoorkleidung von Jack Wolfskin, als würden sie gleich zu einer Bergtour starten. Das Logo der Firma ist eine aufgestickte Wolfstatze. Und da saß ich nun zwischen zwölf  Ärzten im Wolfspelz, die über ihren Kalendern brüteten. Es ging um Bereitschaftsdienste im kommenden Quartal, wann wer für die Kollegen Dienst macht. Dabei kamen sie auch auf den neuen Ziffernkatalog für die Abrechnungen zu sprechen, den neuen EBM, der im Oktober 2013 aktualisiert worden war.

Oben habe ich bereits von einer Neuigkeit geschrieben, der Ziffer 03220 für chronisch Kranke. Aber damit nicht genug: Für alte Menschen gibt es ebenfalls zwei neue Ziffern, die mehr Geld bringen. An dem Rudel-Tisch in der Wirtschaft ging es schnell um die Vorteile dieser Geld-Nummern. Ziffer 03360: Die Ärzte können mit Patienten im Alter ab siebzig einen Test machen. Quasi einen TÜV für ältere Menschen, in Arztsprache «geriatrisches Basisassessment» genannt. Stellt der Arzt bei diesem Check zum Beispiel Vergesslichkeit fest, kann er eine beginnende oder sogar schwere Demenz diagnostizieren.Dazu beackert er mit seinem Patienten oder seiner Patientin einen Fragebogen. «Mini-Mental-Status-Test» heißt der. Ein paar Kostproben gefällig?

«Welchen Tag haben wir heute?»

«Wo sind wir?»

«Buchstabieren Sie bitte ‹Radio rückwärts!»

Sehr aufschlussreich ist, dass die Autoren des Fragebogens das rückwärtsgeschriebene «O-I-D-A-R» vorsorglich neben die Aufgabe gedruckt haben. Die «nicht dementen»  Ärzte haben offenbar selbst Probleme, Radio rückwärts zu buchstabieren…

Aber wir müssen weitermachen, unendlich Zeit haben wir für diesen Test natürlich nicht! Ich nenne Ihnen jetzt drei Gegenstände: Auto, Blume, Kerze. Können Sie wiederholen, welche Gegenstände ich gerade genannt habe? Und auch beim ärztlichen Fragebogen dreht es sich gleich wieder ums Thema Geld. In einer Aufgabe soll der Arzt den Patienten bitten, ihm folgenden Satz nachzusprechen: «Sie leiht ihm kein Geld mehr!» Wenn Sie das nicht mehr auf die Reihe bekommen, sind Sie gerade sehr aktiv dabei, dem Herrn Doktor  zu Geld zu verhelfen! Bei jeder falschen Antwort gibt es nämlich Punktabzug. Und Sie werden nicht erraten, wie unglaublich «aufwändig» danach diagnostiziert wird. Die erreichten Punkte zählt man zusammen, und es gibt wie beim Persönlichkeitstest in der Illustrierten eine Tabelle: Wer nur 25 bis 18 Punkte schafft, kann vom Arzt schon den «Hinweis auf eine leichte Demenz» attestiert bekommen. 17 bis 10 mittelschwere  Demenz. Unter 10 ist es dann eine schwere Demenz.

Aber ich muss erst einmal festhalten: Eigentlich ist es keine schlechte Idee, dass Ärztinnen und Ärzte mehr Geld für demente Patienten bekommen. Vorausgesetzt, sie haben dann mehr Zeit für ihre Behandlung! Und so war es wohl auch gedacht. Kommt bei diesem «Mini-Mental-Status-Test» eine Demenz-Diagnose heraus, kann der Arzt eine neue Ziffer abrechnen, nämlich die 03362. Die bringt mehr Geld, und hoffentlich nimmt er sich dann mehr Zeit. Aber der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist gewaltig, und ich würde nur zu gerne wissen, welcher Mini-Mental-Kleingeist sich dieses naive System ausgedacht hat, das eigentlich aus einem richtigen Gedanken entstanden ist. Eine Ärztin hatte mir dazu einen warnenden Brief geschrieben: «Die alten Patienten werden zu ‹Deppen› gemacht – auch wenn sie noch so rüstig sind», stellte sie fest. «Denn die Preisfrage ist: Wer soll bitte kontrollieren, ob dieser Test korrekt gemacht worden ist und die Diagnose stimmt?» Zurück zu den Wölfen in die Kneipe. Mich interessierte brennend, wie sie wohl mit diesem Test umgehen. Als ich das Thema ansprach, heulte das Rudel begeistert den Euro-Mond an: Keiner könnte das kontrollieren, und es sei leicht, eine beginnende Demenz zu diagnostizieren. Sie müssen nur siebzig Jahre alt sein und bei solchen Tricksern im Behandlungszimmer sitzen. Von den Euros, die dann für Ihren erhöhten Betreuungsaufwand überwiesen würden, bekämen Sie als Patient nichts mit. Für den Großteil des Rudels eine saftige Beute. Zweien von den Ärzten wurde es dann doch zu ungemütlich. «Was ist, wenn das auffliegt?», fragte ein älterer Kollege. Ihm war unwohl bei dem Gedanken, dass er einen Patienten auf dem Papier dement machen kann, nur weil der bei einer Untersuchungsfrage zu lange überlegen muss. Einer der anwesenden Doktoren bügelte die Einwände aber flach: «Wer soll das denn kontrollieren?» Ich musste erst mal schlucken, denn am gleichen Tag hörte ich im Radio die Nachricht, dass es in Deutschland immer mehr Demenzkranke gibt. Sehr witzig, habe ich bei mir gedacht. Über diese steigenden Zahlen brauchen wir uns gar nicht zu wundern, wenn die Regeln die Ärzte förmlich dazu einladen, die Patienten dement zu machen. Aber tatsächlich ist das überhaupt nicht zum Lachen. Nennen wir es doch beim Namen! Das ist Betrug. Und zu diesem Betrug werden die Ärzte regelrecht verführt. Und keinen stört es, weil es ja angeblich alle machen. Und was heißt das für uns Patienten? Müssen wir uns in Zukunft ab siebzig auf den Arztbesuch vorbereiten und noch mal im Kopf durchgehen, wie man «Radio» rückwärts buchstabiert? (…)

Fortsetzung folgt ….. wie Sie hier nachlesen können, es ist wichtig ein informierter Patient zu sein!

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Fortsetzung 9 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

(…) Später habe ich auch von anderen Ärzten aus ganz Deutschland erfahren, dass sie diese Serviceangebote in Anspruch genommen haben. Sie erzählten mir, dass die Damen von der Pharmafirma keinen Hehl daraus gemacht hätten, was sie als Gegenleistung erwarteten: eine Bevorzugung von Medikamenten ihres Unternehmens bei der Verschreibung. Später wollte ich mit ein paar Ärzten über diese Gefälligkeitsdienste und deren Folgen diskutieren. Nicht nur, dass es mehr als mühsam war, die damit verbundene Abhängigkeit und Erpressbarkeit zu thematisieren. Auch die vorgebrachten Gegenargumente ließen meinen Adrenalinspiegel bedenklich in die Höhe steigen. In der Runde wurde ich als personifizierte Kassenpatientin angesehen, zwar eine, die sich auskennt, der man aber trotzdem den ganzen Frust über dieses ärztliche Problemfeld «Kassenpatient» an den Kopf werfen kann. Zum Beispiel, dass dieses Aufspüren von versteckten Goldnuggets in der Abrechnung nichts anderes sei, als sich das zu holen, was ihnen zustehe! Als wäre ich verantwortlich für die Überbürokratisierung in den Praxen und den ärztlichen Kassenfrust. Zum Schluss warf ich ihnen meine ganze Wut an den Kopf: «Für mich blitzt bei diesen Gefälligkeitsdiensten das korrumpierende System mit all seinen Widrigkeiten bis hin zur ärztlichen Erpressbarkeit durch!» Danach gingen wir getrennte Wege, und die Herren mussten den Rest des Abends allein verbringen. Das ist nur ein Beispiel für die Geschäftsmodelle, die sich aus dieser wuchernden Bürokratie entwickeln. Was mich ärgert, ist, dass wir durch unsere Kassenbeiträge nicht nur diesen Wahnsinn finanzieren, sondern mittlerweile unser Beitragsgeld an Firmen fließt, die Ärzten diesen Verwaltungsapparat erklären müssen. Ich möchte aber nicht pauschal von «den» Ärzten sprechen. In Deutschland gibt es ca. 140.000 niedergelassene Individualisten. Jeder versucht auf seine Art und Weise, in dem System seinen Schnitt zu machen. Ein anderer Arzt erzählte mir, dass er nur eine bestimmte Zahl von Kassenpatienten behandelt. Grund: Die Kassenpatienten dienen als festes, gesichertes Einkommen. Ist die Zahl erreicht, die seine fixen Kosten abdeckt, nimmt er keine neuen mehr auf. Seinen profitablen Umsatz macht er, so seine Erklärung, mit sogenannten IGeL- Leistungen (individuellen Gesundheitsleistungen), also Behandlungen, die nicht von den Kassen honoriert werden, sondern von den Patienten selbst bezahlt werden müssen. Und mit Privatpatienten! Wenn Sie auf dem Land wohnen, dann können Sie mal überlegen, was es bedeutet, wenn der Arzt in Ihrem Dorf so arbeitet. Wenn Sie leider als der Patient in die Praxis kommen, der über dem Limit der fixen Kostenabdeckung liegt, sind Sie der Depp. Dann können Sie schon mal überlegen, wo Sie in Ihrer Umgebung die nächste Praxis finden. Der Kassenpatient ist so nur noch Mittel zum Zweck. Ein Fall, um die Existenz zu sichern. Ich habe in den Jahren viele Dutzend Ärzte kennen gelernt, von denen ich mich nicht behandeln lassen würde. Schon beim ersten Blickkontakt hatte ich das Gefühl, dass sie im Patienten nur das Geld sehen, das sie verdienen können. Das ist wie bei diesen alten Registrierkassen, die immer «Tschitsching!» gemacht haben, wenn die Geldschublade aufsprang. Und in diesen Arztköpfen macht es dauernd auch nur «Tschitsching!» und noch mal «Tschitsching!». (..)

Fortsetzung folgt  –

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Fortsetzung 8 aus meinem Buch “Der goldene Skalp”

(..)  Ein weiterer toller Tipp der Beraterliga: Die Ärzte sollen sich von den Patienten anrufen lassen. Das kann man abrechnen! Besonders gut ist so ein Nachfragetelefonat am Wochenende. Also den Patienten in der Sprechstunde bitten: «Rufen Sie mich noch mal am Wochenende an, damit ich weiß, wie es Ihnen geht!» Den Ärzten wird also per Beratung beigebracht, ihre Patienten so clever zu behandeln, dass sie mehr Geld bekommen. Diese Geschäftsidee scheint immer mehr um sich zu greifen, nach dem Motto: Damit auch nichts verloren geht! Eine Beraterin drückte den Ärzten – so quasi als Extra-Nachtisch – nach der «Schulung» im November 2013 ihre Visitenkarte mit dem Rat in die Hand, dass sie sich beeilen sollten. Sie sei sehr gefragt! Zufälligerweise kenne ich diese Dame und hatte auch schon vor ein paar Jahren das Vergnügen, bei einem solchen Praxisbesuch dabei zu sein. Damals kam die Frau allerdings im Auftrag einer Pharmafirma.

An diesen Mittwochnachmittag kann ich mich noch lebhaft erinnern. Die nette Dame von der Pharmafirma kam im eleganten Hosenanzug, mit Laptop und einer Tüte vom Bäcker unterm Arm. Der Auftritt wirkte professionell, sie hätte genauso gut aus der Hochglanzbroschüre von McKinsey stammen können. Als ich ihr Outfit sah, dachte ich: Wieder eine, die meint, es langt ein Hosenanzug, um clever zu sein. Aber das lag wohl daran, dass ich Hosenanzüge hasse … Akribisch suchte sie nach Möglichkeiten, mehr Geld mit der Praxis rauszuholen. Aus der Bäckertüte zauberte sie übrigens süße Kuchenstücke und aus der Abrechnung süße Neuigkeiten für die Ärzte. Die Doctores bekamen den Mund gar nicht mehr zu vor lauter Kauen und Staunen, denn in ihrem Laden ging noch einiges!

Eine kurze Erklärung dazu: Die Abrechnung mit den Ziffern kann man nicht ins Unendliche treiben. Ab einem gewissen Betrag ist das Budget ausgeschöpft und Schluss mit der Bezahlung. In Bayern liegt dieses Regelleistungsvolumen (RLV) für Hausärzte bei ca. 38 Euro. Fragt man Fachärzte, sagen die, sie wären froh, das zu bekommen! Da liegt einer der Stachel zwischen den Ärzten.

Auch bei Hausärzten wird in den verschiedenen Bundesländern mit anderen Beträgen gerechnet. Das RLV ist die Ursache für die Aussage von vielen Ärzten: «Wir behandeln gratis!» Ist die Grenze des RLV erreicht, behandelt der Arzt den Patienten danach bis zum Ende des Quartals quasi kostenlos. Egal, ob der Patient nur einmal kommt oder zehnmal. «Flatrate-Medizin» hat deshalb einer die Behandlung von Kassenpatienten verächtlich genannt.

Das kann man mit All-you-can-eat-Angeboten von Restaurants vergleichen. Für 38 Euro kann man essen, bis man platzt. Aber es gibt eine Ausnahme, die es übrigens so ähnlich auch bei den Ärzten gibt: Die Getränke sind meistens nicht in der Flatrate drin. Die Rechnung kann also durchaus saftiger ausfallen. Die Ärzte können über Weiterbildungsmaßnahmen besondere Untersuchungen anbieten, die ihnen extra bezahlt werden. Wer sich gerne sperrige Bürokratenbegriffe merken möchte, kann das Wortungetüm «qualitätsorientierte Zusatzvergütungen» als Kürzel QZV speichern.

Die Dame mit den süßen Kuchenstückchen im Gepäck empfahl den Ärzten damals, solche Untersuchungen noch öfter zu machen. Sie sollten zum Beispiel in der restlichen Zeit des Quartals mehr Belastungs- und Langzeit-EKGs machen, da seien noch Kapazitäten im Budget offen! Auch bei den Ultraschalluntersuchungen sollten sie zulegen. Ich habe mich gefragt, wie die Ärzte das denn machen sollen. Solche Untersuchungen kann doch niemand vorhersagen! Was die Patienten brauchen und ob in den letzten Wochen des Quartals Patienten kommen, die das brauchen, stand nicht zur Diskussion. Es war der Dame im Hosenanzug auch nicht so wichtig wie die aufgepeppte Abrechnung. Was bringt aber einer Pharmafirma so eine Nachhilfestunde? Mit Sicherheit war dieser Nachmittag nicht für einen Gotteslohn. Die Dame hatte ja noch eine Stofftasche dabei. Da war aber nicht mehr Kuchen drin, sondern Proben eines neuen Medikaments der Firma und Infomaterial für Patienten.(..)

Fortsetzung folgt – bleiben Sie dran, es fängt erst an spannend zu werden!

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