Am Fallbeispiel der AOK Bayern ist unser undurchsichtiges, völlig diffuses Gesundheitssystem fest zu machen. In Deutschland sind neunzig Prozent der Bevölkerung in einer gesetzlichen Krankenkasse „versichert“! Wie kann sich eine AOK Bayern, mit einer Versichertenzahl von fast 5 Millionen bayerischer Mitbürger, so versteigen, dass daraus ein flächendeckender Vertrauensbruch wird?
Ausgangspunkt der im Moment (Februar 2011) laufenden Auseinandersetzung zwischen Hausärzten und der AOK Bayern, sowie der Brief – und Telefonaktion der AOK Bayern gegenüber 2,7 Millionen Versicherten, die sich in den sogenannten Hausarztvertrag eingeschrieben haben, ist das Jahr 2008!
Der Protest gegen die Zerstörung des Gesundheitswesens
Samstag, 07.06.2008, München, Olympiastadion. Menschen mit Transparenten und Spruchbändern. Die Großveranstaltung für den Protest gegen die Gesundheitsreform war ein voller Erfolg. Als Autorin von „Der verkaufte Patient“, und Initiatorin von „Patient informiert sich“ dem heutigen Bürgerschulterschluss e,V. habe ich für einen Tag das Olympiastadion gemietet und verfolgte dabei vor allem ein Ziel: den Schulterschluss zwischen Arzt und Patient, die Aufklärung der Bevölkerung über die Pläne der Gesundheitspolitik.
Der Verkauf des Gesundheitssystems
Wogegen der Protest sich wendete, war kein Geheimnis. Doch diskutiert wurde das Problem bisher fast nur im betroffenen Mediziner-Kreis. Das Gesundheitswesen auf dem Prüfstand. Der Staat hat kein Geld mehr und will das Gesundheitssystem verkaufen. Schon jetzt werden immer mehr privatwirtschaftliche Unternehmen in die Finanzierung mit eingebunden. 2005 schloss die AOK mit der Ventario GmbH einen Vertrag zur Behandlung herzkranker Patienten. Seit 2007 offeriert der amerikanische Gesundheitsdienstleister Healthways seine Dienstleistungen Versicherten deutscher Krankenkassen wie der DAK. Die gezielte Wegrationalisierung des niedergelassenen Arztes war bereits 2008 unübersehbar.
Der Protest Arzt und Patient im Schulterschluss hatte außer einer breiten Thematisierung unter Patienten, über die politischen Zielsetzungen was unser Gesundheitssystem betrifft, zur Folge: Eine Einladung des BHÄV (Bayerischer Hausärzteverband) Vorstandes in die Staatskanzlei. Wir befanden uns in Bayern mitten im Landtagswahlkampf 2008. Damals noch in der Alleinregierung, versprach die CSU durch ein Gesetz den Erhalt der wohnortnahen, sicheren Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Hausärzte zu unterstützen. Die Hausärzte vertrauten den Aussagen der Politiker in der Staatskanzlei und hielten sich ab diesem Zeitpunkt aus dem Wahlkampf heraus.
Für mich war klar, Versprechen im Wahlkampf stehen auf tönernen Beinen. Außerdem bin ich aufgrund meiner Recherchen angetreten, die um sich greifende Industrialisierung des Gesundheitswesens und den Folgen zu thematisieren. Aus politisch gewollten uninformierten Patienten, war und ist mein Ziel, informierte Bürgerpatienten die sich einmischen. Denn immerhin sind wir Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen die Finanziers des gesamten Gesundheitswesens! Deshalb initiierte ich ab Juli 2008 sogenannte regionale Bürgerstammtische, in denen sich Bürgerpatienten, Ärzte, sowie alle medizinische Berufszweige einmal im Monat treffen, um sich auszutauschen. Daraus wurde eine bundesweite Bürgerbewegung mit heute 604 regionalen Bürgertreffs. Aus der Internetseite www.patient-informiert-sich.de wurde Bürgerschulterschluss e.V. !
In Berlin wurde unter der großen Koalition, angetrieben durch die CSU, der § 73 b – der sogenannte Hausarztvertrag zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) im Sozialgesetzbuch V ab festgeschrieben. Darin steht unter anderem, dass alle gesetzlichen Krankenkassen ab 1.7.2009 verpflichtet sind, den Hausärzten einen sogenannten Hausarztvertrag anzubieten. Damit, so die politische Aussage, sollte der rasante Abbau der niedergelassenen Hausarztpraxen gestoppt, junge Ärzte motiviert werden, Hausarzt zu werden. Es sollte, so wurde es uns allen verkauft, eine existenzielle Sicherheit für die Ärzte und für uns eine sichere wohnortnahe Gesundheitsversorgung sein. Außerdem wurde der 73 b von den Ärzten auch als Stopp für die um sich greifende Privatisierung im Gesundheitswesen gesehen.
Auffallend nach heutiger Sicht, ist die sofortige Umsetzung des § 73 b vonseiten der AOK Bayern. Bereits am 13. Februar 2009 unterzeichnete der AOK Vorstand, den Hausarztvertrag mit dem bayerischen Hausarztverband, (BHÄV) Beginn ab 1. 4. 2009, obwohl das Gesetz für die Kassen erst ab 1. Juli 2009 bindend wurde. Damit, so die heutige Analyse, hatte die AOK Bayern einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den anderen Kassen. Der ausgehandelte Vertrag wurde von den Hausärzten wie den Versicherten, als sehr großzügig und gut bezeichnet. Den Hausärzten gab der Vertrag endlich die notwendige existenzielle Sicherheit, den Patienten wurden beim Einschreiben in den Hausarztvertrag vertraglich drei Quartale (30 Euro) Erlass der Kassengebühr (fälschlicherweise Praxisgebühr genannt) sowie ein jährlicher umfassender Gesundheits-Check, sowie Abendsprechstunden u.v.m zugesichert.
Nach heutiger Sicht und der Beweislage (die in Folge der Chronologie veröffentlicht wird) waren dies Lockmittel der besonderen Art! Der tatsächliche Gewinner dieses Vertrages war die AOK Bayern. Es schrieben sich bei ihr nicht nur 2,7 Millionen Versicherte in den Hausarztvertrag ein, sondern es wechselten ca. 200.000 Versicherte zur AOK Bayern. Der damit verbundene Vermögensvorteil ist für die Gesundheitskasse beträchtlich.
Ab April 2009 zog in die Hausarztpraxen in Bayern der Frühling ein. Die Existenzängste der niedergelassenen Ärzte wurden durch den Hausarztvertrag wie mit einem Frühlingswind weggetragen. Die Patienten freuten sich über die Angebote der AOK Bayern, beim Einschreiben in den Hausarztvertrag, von den quartalsmäßigen 10 Euro Kassengebühr (drei Quartale, insgesamt 30 Euro im Jahr) erlassen zu bekommen. Außerdem gab es einen jährlichen Gesundheits-Check und Hautkrebs –Screening, Ultraschall der Bauchorgane, erweiterte Blutwertbestimmung, Beratung zur Darmkrebsvorsorge u.v.m. Bis Ende 2010 haben sich 2,7 Millionen bayerische AOK Patienten, aus verschiedenen Motiven, in diesen Hausarztvertrag eingeschrieben.
Da gab es die Rechner, die sich 30 Euro im Jahr sparen wollten, diejenigen, die in dem großzügigen Gesundheits-Check die wichtige Vorsorge sahen. Aber es gab auch sehr viele, die mit diesem Hausarztmodell eine Existenzsicherung für ihren Hausarzt Vorort sahen. Die den Arzt ihres Vertrauens für die wohnortnahe, sichere Gesundheitsversorgung behalten, und nicht im kommerzialisierten MVZ einer Kapitalgesellschaft vermarktet werden wollten!
Für alle, wurde es nach Zeiten der Unsicherheit, ein Sommer, indem dieser Hausarztvertrag Ruhe und Sicherheit für alle versprach.
Diese Freude dauerte genau einen Sommer lang…!
Der Sommer 2009 zeigte sich von der schönsten Seite. Zeitgleich trieb der Bundestagswahlkampf seine Blüten und entblätterte dabei nacheinander die Zielsetzungen einer CDU/CSU/FDP Regierung.
Der von den Ärzten an der Basis, als existenzieller Rettungsanker ihrer Praxen gesehene § 73 b, (Hausarztvertrag) kam durch die Pläne der FDP und einzelner CDU Politiker ins Wanken. Nach außen stemmte sich die CSU dagegen, nicht verwunderlich, wir befanden uns im Bundestagswahlkampf. Außerdem hatte sie, ein Jahr zuvor den § 73 b in der großen Koalition durchgeboxt, um im bayerischen Landtagswahlkampf 2008, Ruhe an die Ärzte – und Patientenfront zu bringen.
Die sichere, wohnortnahe Gesundheitsversorgung durch den Arzt des Vertrauens, die den Patienten mit dem Hausarztvertrag versprochen wurde, stand wieder zur Diskussion. Denn Kapitalgesellschaften, wie die Rhön AG, nahmen die, durch Banken losgetretene Wirtschaftskrise, zum Anlass und planten den Kauf von Krankenhäusern im großen Stil. Die damit verbundene Expansion von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in der Hand von Kapitalgesellschaften beunruhigte informierte Patienten. Politische Pläne zur Privatisierung des Gesundheitswesens sickerten durch.
Und wieder trafen sich im Schulterschluss Bürgerpatienten, Haus -und Fachärzte im Olympiastadion München um gemeinsam laut und deutlich:
NEIN zu dem Umbau des Gesundheitswesens in eine Gesundheitsindustrie in der Hand von Kapitalgesellschaften.