Großmutter

Verstorben–Vererben –Verdrängen und die verstummten Entsetzten!

Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde! (Immanuel Kant)

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Der Sommer ist mit der Umstellung der Uhren offiziell vorbei. Alles ist reguliert. Der Reformationstag am 31. Oktober und Allerheiligen am 1. November sind christliche Feiertage. Am 2. November ist Allerseelen. An diesem Tag soll an die Verstorbenen erinnert werden.

Die Friedhöfe sind in dieser Zeit gut besucht. An manchem Grab ist sichtbar, wer vergessen ist. Die anonymen Grabreihen werden immer mehr. Wer hat heutzutage noch Zeit ein Grab zu pflegen? Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ob Entfernung oder Finanzen, bis hin zu „Zeitverschwendung“ und dem Gedanken „geht mich doch nichts an!“ Dazu kommt: Von der Wiege bis zur Bahre, ist der Mensch vor allem Ware. Geschäftsmodelle der Vorsorge nachdem Ableben haben Hochkonjunktur. Erstens will „man“ ja niemanden belasten und dann höre ich oft „nach mir die Sintflut, Tod ist Tod!“  

Was gebe ich dafür, wenn die tatsächlichen Gedanken der einzelnen Trauernden sichtbar werden könnten? Grabsteine, selbst die kleinsten Schilder an den Bäumen, unter denen die Asche vergraben wurde, erzählen könnten, was dieser beigesetzte Mensch unausgesprochen mit ins Grab nahm!? An der Beisetzung viel zu vieler Menschen, trauert tief verschleiert ihr ungelebtes Leben!   

Sie lassen mich nicht los, die Gespräche mit den vielen Erbschleicher – Geschädigten! Sie sind zu oft traumatisiert, sprachlos und hilflos diesen Gefühlen ausgeliefert.  Unbeabsichtigt wurde mit meinem Tatsachenroman „Erbschleicher und sonstige Verwandte“ eine Schleuse geöffnet!

William Shakespeare sagte: „Der Kummer der nicht spricht, nagt am Herzen bis es bricht“

Um die Folgen von unserem eigenen erlebten Familiendrama greifen zu können, verarbeitete ich es durch aneinandergereihte Buchstaben. Über das Buch entwickelte sich ein Netzwerk der verstummten Entsetzten. Nach wie vor plädiere ich dafür, nicht auszublenden was schiefgelaufen ist. Wahrnehmen um was es tatsächlich geht und ging. Wenn Dramen entstehen, ist es nicht nur das „Erbe“ in Form von Geld und Gut. Oft lässt der Bruch der Familie und die Enttäuschung was hinter den verschiedenen Rücken alles abgelaufen ist, Betroffene in die Knie gehen! Dazu kommt die Scham solche Blutsverwandte zu haben!

Vor allem nach meinem Vortrag „Erbschleicher und die Folgen“ erfahre ich von dem Schweigen, dem eigenen sozialen Umfeld gegenüber. Der Satz „das kann ich doch niemand sagen, wie die eigenen Verwandten agieren, wie sie verletzen, mit allen Bösartigkeiten auffahren“ gehört zur Standardaussage.

Erst letzte Woche stand ich in einem Garten in Ulm vor einem wunderschönen, vollmöbilierten, jedoch verwaisten Haus. In ihm lebte ein Ehepaar deren Leben aus Arbeit und Fürsorge für die drei Kinder bestand. Als Eltern gaben sie alles. Sie bauten ebenso ein erfolgreiches Unternehmen auf. Die damit verbundenen Risiken nahmen sie auf sich. Ja, sie brachten es zu was, wie man im Schwabenland sagt!

Nun würden sie sich als Großeltern im Grab umdrehen, wenn sie erleben würden, wie sich eine ihrer Enkelinnen nach ihrem Tod zum gierigen Monster, ohne Hemmungen entwickelte. Großmutter Ilse hat nach dem Tod ihres Mannes zwar alles großzügig geregelt. Niemanden vergessen. Die Tochter von Ilse hat mit ihrem Mann auf viel verzichtet zu Gunsten ihrer eigenen Töchter. Doch eine Enkelin von Großmutter Ilse bekommt den Hals nicht voll! Ihr Erbe, sowie die zusätzlichen Zuwendungen auf den Konten mit vielen, vielen Nullen…reichen ihr nicht, sie will mehr, sie will alles! Die Frage, seit wann diese frühere liebenswerte und hilfsbereite Tochter und Enkelin ihre Wesensart um 180 Grad veränderte, beschäftigt die ganze restliche Familie. Vermutet wird, dass hier Manipulation und die Geldgier ihres Partners eine Rolle spielt. Allein der protzige Lebenswandel lässt erahnen, weshalb das Erbe dringend benötigt wird. Traurig für die Eltern zusehen zu müssen, wie sich ihre Tochter veränderte. Zumal diese ganze Entwicklung so gar nicht zu der Kernfamilie und der Erziehung der Tochter passt. Gerichte und Anwälte sind nun beschäftigt, um sich hin und her Papierberge zu senden. Auch hier ist einmal mehr, eine Familie emotional zerbrochen. In dem Fall, an der Gier der Enkelin von Großmutter Ilse!

Allen verstummten Entsetzten wünsche ich gerade an diesen kommenden Tagen Kraft. Wir sollten nie Furcht davor haben auszusprechen, was verdrängt wurde. Ich plädiere für Offenheit. Übrigens egal was es ist und wer es ist: Wenn es den inneren Frieden kostet – ist es zu teuer! Verschwende nicht deine Zeit gegen eine Wand zu treten, in der Hoffnung sie in eine Türe zu verwanden. RH

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Gedanken zum Todestag meiner Schwiegermutter

Liebe Schwiegermutter,

26. Oktober – heute vor 11 Jahren hast Du für immer Deine Augen geschlossen. Und es ist jedes Jahr eine schmerzliche Erinnerung, wie – Deinem Sohn und mir und Deinen Enkelkindern – verwehrt wurde uns von Dir zu verabschieden. Wir gezielt nicht informiert wurden, wie Du ins Krankenhaus gekommen bist. Immer wieder haben wir uns gefragt, was Du gedacht haben magst? Und hoffen, dass Du gewusst hast, es lag nicht an uns Dich nicht besucht zu haben. Da kommt mir dieser Satz „hätte“ in den Sinn. Viele dieser „hättest du, hätten wir…“ stehen im Raum. Doch diese ändern nichts mehr an den Tatsachen.

Du wolltest bei uns bleiben. Das bestätigen Ärzte, Therapeuten, Freunde. Nur als wir Dich im Juli 2013 in die Wohnung im Haus Deiner Tochter zurückbrachten, um den Umzug vorzubereiten, wurdest Du unserer Meinung nach vonseiten der Erbschleicher gezielt angegangen diesen Schritt, zu uns zu ziehen, nicht zu machen. Du wurdest abgeschirmt, nachdem Du über Monate bei uns warst und Dein Gesundheitszustand sich massiv verbessert hatte. Mir kommt vor, dies passte nicht in das Konzept.

Das es mir gelungen ist, gegen den Druck der Erbschleicher für Dich eine Pflegestufe zu erreichen, darüber bin ich heute froh. So konnten wir uns über die Adresse der Pflegerin – ohne Kontrolle – schreiben! Deine letzten Briefe sind der Beweis, wie sehr Du unter dieser kontrollierten Lebenssituation der Erbschleicher gelitten hast.

Bis heute denken wir bei jeder Fahrt auf der A 8 in Richtung Stuttgart, wenn wir an dem Parkplatz nach der Raststätte Denkendorf vorbeifahren, an den Moment, als wir im Auto von einem Verwandten angerufen wurden, dass in 20 Minuten Deine Beerdigung stattfindet. Wie dort ein Kranz mit unseren letzten Grüßen lag, der nicht von uns war, um den Anschein zu erwecken, wir wollten nicht dabei sein.

Es ist nicht zu erklären, geschweige denn zu verstehen. Um es auf jeden Fall nicht einfach so hinzunehmen, habe ich es in einem Tatsachenroman öffentlich gemacht. Auch als Warnung für alle, die denken, es könne ihnen nicht passieren! Viel kann abgesichert werden für das Alter, jedoch der Einfallsreichtum von Erbschleichern nicht!  

Seit meinem Buch weiß ich, unsere Erfahrungen sind kein Einzelfall. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht Informationen bekomme, bei denen Erbschleicher aus Gier und Egoismus agierten. Eltern verzweifeln an der Kälte die ihnen entgegen schlägt. Erben zwar „haben wollen“ doch vergessen, wie dieses Erbe erarbeitet wurde.

Es wird mir immer wieder von dieser Einsamkeit am Ende des Lebens berichtet. Vielleicht ist es mehr die Enttäuschung und dieser Schmerz im Herzen, über die emotionale Kälte der Kinder, wenn es um das Erben geht. Kindern für die man lebte, denen man ein Leben lang nur das allerbeste gewünscht hat.

Liebe Schwiegermutter, unsere Verbindung bleibt im Herzen so wunderbar wie sie im Leben war.

In Dankbarkeit für das Glück Deinen Sohn als Mann zu haben.

Für mich bist du bleibst Du unvergessen!

In Liebe Deine Renate      

Hier ein trauriger, jedoch realistischer Netzfund über den Alltag im Alter:

Ein Brief von einer älteren Frau aus einem Pflegeheim.

Ich bin 82 Jahre alt, habe 4 Kinder, 11 Enkel, 2 Urenkel und ein Zimmer von 12 Quadratmetern.

Ich habe kein Zuhause und keine teuren Dinge mehr, aber ich habe jemanden, der mein Zimmer putzt, Essen und Bettzeug vorbereitet, meinen Blutdruck misst und mich wiegt.

Ich höre nicht mehr das Lachen meiner Enkelkinder, ich sehe sie nicht wachsen, sich umarmen und streiten.

Manche kommen alle 15 Tage zu mir, manche alle drei oder vier Monate und manche nie.

Ich arbeite nicht mehr im Winter, ich backe keine Kuchen, ich verschönere den Garten nicht mehr.

Hobbys habe ich noch und ich lese gerne, aber meine Augen tun schnell weh.

Ich weiß nicht, wie lange noch, aber ich muss mich an diese Einsamkeit gewöhnen.

Hier im Heim leite ich eine Gruppenarbeit und helfe denen, den es schlechter geht als mir, so gut ich kann.

Bis vor kurzem habe ich einer unbeweglichen Frau im Zimmer neben mir vorgelesen, wir haben früher zusammen gesungen, aber sie ist neulich gestorben.

Sie sagen, länger zu Leben ist doch schön. Aber wieso? Wenn ich alleine bin, kann ich mir Fotos meiner Familie und Erinnerungen ansehen, die ich von zu Hause mitgebracht habe. Und das ist alles.

Ich hoffe, dass die nächsten Generationen verstehen, dass Familien geboren werden, um eine Zukunft (mit Kindern und Enkeln) zu haben, und dass sie die Familie auch im Alter nicht vergessen.

Bitte zeig das nicht meinen Kindern also deinen Eltern.

Deine Oma liebt dich. 👵🏻❤️

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Großmutter Erna wehrt sich!

In dem Einfamilienhaus, kam Erna nach dem Tod ihres Mannes alleine gut zurecht. Das soziale Umfeld hatte Bestand. Der Kontakt zu den erwachsenen Kindern war sporadisch.

Bei einem der „wir sind gerade in der Nähe“ Besuche ihrer Tochter, kam es zum Thema Erbschaftssteuer. Intensiv wurden die allgemeinen Teuerungen beklagt, bis endlich das Wort „Hausüberschreibung“ fiel. Großmutter Erna stand kurz vor ihrem 81. Geburtstag. Laut Statistik blieben ihr noch drei Jahre. Natürlich wurde dies nicht ausgesprochen.  Die Tochter verpackte es in den Worten „Vorsorge, man weiß ja nie was kommt“!

Großmutter Erna besprach es mit ihren Freunden, die rieten ihr dies unbedingt auch mit ihrem Sohn zu besprechen. Der hatte zwar keine Ahnung von den Gedankengängen seiner Schwester, konnte jedoch dem Umstand der Erbschaftssteuer zu entgehen, etwas abgewinnen. Da er seine Schwester und deren Drang vonwegen „alles haben wollen“ von Kindesbeinen her kannte, informierte er sich.

Er wollte den Wunsch seiner Mutter, in ihrem Haus zu bleiben, festigen. Deshalb schlug er vor zusammen mit der Überschreibung, das lebenslange Wohnrecht und den Nießbrauch für die Mutter einzutragen. Bei diesen Vorbereitungen sickerte die Devise seiner Schwester durch „man weiß ja nie“ und sie beharrte darauf, auf sie eine Generalvollmacht auszustellen! Das wurde mit der Corona Pandemie und den Kontaktproblemen begründet.

Großmutter Erna war nicht wohl dabei und sie bestand darauf, wenn eine solche Generalvollmacht, dann auf ihre beiden Kinder, mit dem Zusatz, einer allein kann nicht entscheiden! Dies verzögerte erst einmal den Vorgang.

Erst als beim Notar, zeitgleich mit der Hausüberschreibung, die Generalvollmachten, im Sinne von Großmutter Erna unterzeichnet wurden, war sie zufrieden. 

Die Zeit ging ins Land. Großmutter Erna erwähnte Monate später gegenüber ihrer Tochter, die Lesebrille sei nicht mehr so gut. Innerhalb kürzester Zeit wurde von der Tochter ein Augenarzttermin organisiert, zu dem sie sich als Begleitperson anmeldete. Ganz nebenbei erwähnte die Tochter, es mache Sinn, nach dem Arzttermin dieses Altenheim anzusehen, bei dem – laut Zeitung – einige Plätze frei seien. 

Erna fühlte sich unwohl, empfand es als unangenehm. Sprach es auch aus und es kam zu einer Auseinandersetzung. Sie wollte gar nicht zum Augenarzt. Ihr Plan war eine neue günstige Lesebrille zu kaufen, wie sie es seit Jahren praktizierte. Dementsprechend war Erna beim Arzt auch sehr zurückhaltend, sprach nicht viel. Dafür übernahm die Tochter das Wort und Erna entging nicht, dass diese den Arzt gut kannte. Die Unterhaltung der beiden ging um die Vorteile im Alter in einem guten Heim unterzukommen. Erna hörte gar nicht mehr zu, für sie war das kein Thema. Sie hatte ihr Zuhause, konnte selbst einkaufen, kochen und hatte Kontakte. Wusste um die Situationen, in denen die Einlieferung ins Altenheim notwendig sein kann, nämlich wenn Sicherheit und Wohlbefinden des älteren Menschen nicht gewährleistet sind. Nur das war bei ihr nicht der Fall. Deshalb fühlte sie sich auch nicht angesprochen.

Wer konnte ahnen, dass ihre Teilnahmslosigkeit bei der Unterhaltung zwischen dem Arzt und der Tochter, als beginnende Demenz auf einem Schreiben des Arztes über ihren Gesundheitszustand auftaucht?!

Bei der Rückfahrt vom Arzt wunderte sich Großmutter Erna als ihre Tochter auf dem Parkplatz des Altenheims anhielt. Auf Rückfrage kam die Antwort: „Lass uns doch einfach mal reinschauen, man weiß ja nie“ um einen weiteren Konflikt zu vermeiden, willigte sie ein.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte die Seniorin nicht, dass ihr Umzug ins Altenheim von ihrer Tochter fest eingeplant war und sie längst in Gesprächen mit dem Altenheim war. Ernas Desinteresse bei der Besichtigung, war ein weiteres Puzzlestück, den Verdacht einer beginnenden Demenz zu festigen.

Nur über diesen Weg war es möglich, den Wunsch der Tochter umzusetzen das Haus zu verkaufen. Nach der Berechnung der Tochte, reichte die Rente von Erna und das Barvermögen aus, um die letzten Jahre im Heim finanzieren zu können.

Ernas stabiler Gesundheitszustand, ihre Sicherheit, allein leben zu können, musste Stück für Stück ins Wanken gebracht werden. So konnte der 300 km weiterlebende Bruder von der Notwendigkeit, Mutter muss ins Altenheim, überzeugt werden. Erst dann, würde die Klausel Wohnrecht wegfallen. Und das Elternhaus könnte bereits zu Lebzeiten veräußert werden.

Da der Sohn seine Schwester und ihre Ziele ahnte, besuchte er spontan für ein paar Tage die Mutter. Verwundert stellte er fest, wie offen Erna aussprach, dass sie überzeugt sei, es gehe der Tochter um den Gewinn beim Hausverkauf, der nicht möglich wäre, wenn sie nicht auszieht. Deshalb habe sie sich bei einer Beratungsstelle über gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf Einlieferung ins Altenheim, sowie über Entmündigung informiert. Außerdem bestehe sie auf einer Untersuchung, nach der ihr körperlicher und geistiger Zustand diagnostiziert werde. Sie wolle dokumentiert haben, dass sie in der Lage sei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

Im Gespräch mit der Schwester gab diese zu, dass sie das Elternhaus über ihren Sohn, der bei der Bank arbeitete, schätzen lies. Sie wusste auf den Cent genau, was der Verkauf – für jeden der Geschwister – bringen würde.

Der Fall von Großmutter Erna, ging nur gut aus, da der Sohn sich auf die Seite der Mutter stellte. Bei ihm die Lebensleistung der Eltern an erster Stelle stand. Er wusste, nur über diese kam zukünftiges Erbe zustande. Vor allem wollte er die Bedürfnisse und Wünsche der Mutter respektieren und ihre Würde geschützt sehen.

Großmutter Erna war, mit nun über achtzig Jahren eine wichtige Erfahrung reicher. Blut ist nicht immer dicker, wie Wasser. Insbesondere kommt dies vor, wenn es ums Erben geht! Durch Ernas Drängen, das Umschreiben im Grundbuch und die Generalvollmacht nur zu akzeptieren, indem beide Kinder eingetragen werden und einer allein nichts entscheiden kann, dazu ihr Sohn sie unterstützte, konnte sie in ihrem Haus weiter wohnen bleiben.  RH

I

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Die Geschichte der besonderen Weihnachtsüberraschung

Der Christbaumständer

Beim Aufräumen des Dachbodens – ein paar Wochen vor Weihnachten -entdeckte ein Familienvater in einer Ecke einen ganz verstaubten, uralten Weihnachtsbaumständer. Es war ein besonderer Ständer mit einem Drehmechanismus und einer eingebauten Spielwalze. Beim vorsichtigen Drehen konnte man das Lied „O du fröhliche“ erkennen. Das musste der Christbaumständer sein, von dem Großmutter immer erzählte, wenn die Weihnachtszeit herankam. Das Ding sah zwar fürchterlich aus, doch da kam ihm ein wunderbarer Gedanke. Wie würde sich Großmutter freuen, wenn sie am Heiligabend vor dem Baum säße und dieser sich auf einmal wie in uralter Zeit zu drehen begänne und dazu „O du fröhliche“ spielte. Nicht nur Großmutter, die ganze Familie würde staunen.
Es gelang ihm, mit dem antiken Stück ungesehen in seinen Bastelraum zu verschwinden. Gut gereinigt, eine neue Feder, dann müsste der Mechanismus wieder funktionieren, überlegte er. Abends zog er sich jetzt geheimnisvoll in seinen Hobbyraum zurück, verriegelte die Tür und werkelte. Auf neugierige Fragen antwortete er immer nur „Weihnachtsüberraschung“. Kurz vor Weihnachten hatte er es geschafft. Wie neu sah der Ständer aus, nachdem er auch noch einen Anstrich erhalten hatte.
Jetzt aber gleich los und einen prächtigen Christbaum besorgen, dachte er. Mindestens zwei Meter sollte der messen. Mit einem wirklich schön gewachsenen Exemplar verschwand Vater dann in seinem Hobbyraum, wo er auch gleich einen Probelauf startete. Es funktionierte alles bestens. Würde Großmutter Augen machen!
Endlich war Heiligabend. „Den Baum schmücke ich alleine“, tönte Vater. So aufgeregt war er lange nicht mehr. Echte Kerzen hatte er besorgt, alles sollte stimmen. „Die werden Augen machen“, sagte er bei jeder Kugel, die er in den Baum hing. Vater hatte wirklich an alles gedacht. Der Stern von Bethlehem saß oben auf der Spitze, bunte Kugeln, Naschwerk und Wunderkerzen waren untergebracht, Engelhaar und Lametta dekorativ aufgehängt. Die Feier konnte beginnen.
Vater schleppte für Großmutter den großen Ohrensessel herbei. Feierlich wurde sie geholt und zu ihrem Ehrenplatz geleitet. Die Stühle hatte er in einem Halbkreis um den Tannenbaum gruppiert. Die Eltern setzten sich rechts und links von Großmutter, die Kinder nahmen außen Platz. Jetzt kam Vaters großer Auftritt. Bedächtig zündete er Kerze für Kerze an, dann noch die Wunderkerzen. „Und jetzt kommt die große Überraschung“, verkündete er, löste die Sperre am Ständer und nahm ganz schnell seinen Platz ein.
Langsam drehte sich der Weihnachtsbaum, hell spielte die Musikwalze „O du fröhliche“. War das eine Freude! Die Kinder klatschten vergnügt in die Hände. Oma hatte Tränen der Rührung in den Augen. Immer wieder sagte sie: „Wenn Großvater das noch erleben könnte, dass ich das noch erleben darf.“ Mutter war stumm vor Staunen.
Eine ganze Weile schaute die Familie beglückt und stumm auf den sich im Festgewand drehenden Weihnachtsbaum, als ein schnarrendes Geräusch sie jäh aus ihrer Versunkenheit riss. Ein Zittern durchlief den Baum, die bunten Kugeln klirrten wie Glöckchen. Der Baum fing an, sich wie verrückt zu drehen. Die Musikwalze hämmerte los. Es hörte sich an, als wollte „O du fröhliche“ sich selbst überholen. Mutter rief mit überschnappender Stimme: „So tu doch etwas!“ Vater saß wie versteinert, was den Baum nicht davon abhielt, seine Geschwindigkeit zu steigern. Er drehte sich so rasant, dass die Flammen hinter ihren Kerzen herwehten. Großmutter bekreuzigte sich und betete. Dann murmelte sie: „Wenn das Großvater noch erlebt hätte.“
Als Erstes löste sich der Stern von Bethlehem, sauste wie ein Komet durch das Zimmer, klatschte gegen den Türrahmen und fiel dann auf Felix, den Dackel, der dort ein Nickerchen hielt. Der arme Hund flitzte wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer in die Küche, wo man von ihm nur noch die Nase und ein Auge um die Ecke schielen sah. Lametta und Engelhaar hatten sich erhoben und schwebten wie ein Kettenkarussell am Weihnachtsbaum. Vater gab das Kommando „Alles in Deckung!“ Ein Rauschgoldengel trudelte losgelöst durchs Zimmer, nicht wissend, was er mit seiner plötzlichen Freiheit anfangen sollte. Weihnachtskugeln, gefüllter Schokoladenschmuck und andere Anhängsel sausten wie Geschosse durch das Zimmer und platzten beim Aufschlagen auseinander.
Die Kinder hatten hinter Großmutters Sessel Schutz gefunden. Vater und Mutter lagen flach auf dem Bauch, den Kopf mit den Armen schützend. Mutter jammerte in den Teppich hinein: „Alles umsonst, die viele Arbeit, alles umsonst!“ Vater war das alles sehr peinlich. Oma saß immer noch auf ihrem Logenplatz, wie erstarrt, von oben bis unten mit Engelhaar und Lametta geschmückt. Ihr kam Großvater in den Sinn, als dieser 14-18 in den Ardennen in feindlichem Artilleriefeuer gelegen hatte. Genau so musste es gewesen sein. Als gefüllter Schokoladenbaumschmuck an ihrem Kopf explodierte, registrierte sie trocken „Kirschwasser“ und murmelte: „Wenn Großvater das noch erlebt hätte!“ Zu allem jaulte die Musikwalze im Schlupfakkord „O du fröhliche“, bis mit einem ächzenden Ton der Ständer seinen Geist aufgab.
Durch den plötzlichen Stopp neigte sich der Christbaum in Zeitlupe, fiel aufs kalte Buffet, die letzten Nadeln von sich gebend. Totenstille! Großmutter, geschmückt wie nach einer New Yorker Konfettiparade, erhob sich schweigend. Kopfschüttelnd begab sie sich, eine Lamettagirlande wie eine Schleppe tragend, auf ihr Zimmer. In der Tür stehend sagte sie: „Wie gut, dass Großvater das nicht erlebt hat!“
Mutter, völlig aufgelöst zu Vater: „Wenn ich mir diese Bescherung ansehe, dann ist deine große Überraschung wirklich gelungen.“ Andreas meinte: „Du, Papi, das war echt stark! Machen wir das jetzt Weihnachten immer so?“

Autor: Unbekannt

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