Unvergessener 24. Dezember
Es roch nach Weihnachten. Mutter hatte die letzten beiden Tage durchgehend gebacken. Ich durfte die Ausstecherle dekorieren. Dabei hatte ich im Kopf Geschichten. Jedes einzelne Plätzle bekam über bunte Kügelchen Buchstaben.
Ich war 8 Jahre alt. Nebenbei ich dekorierte, erzählte ich meiner Mutter, welche Buchstaben ich mit den Kügelchen auf die Plätzle schrieb. Deshalb bekam ich von ihr eine extra Dose für meine Ausstecherle.
Mein Wunsch war, ein kleiner Schrank mit vielen Schubladen. Der Grund: Ich malte ausschließlich Buchstaben, schnitt sie aus und sammelte sie in kleinen leeren Käse – Schachteln. Die holte ich mir aus der Küche unseres Gasthofes, in dem ich geboren und aufgewachsen bin.
An diesem Advent war jedoch alles anders. Mein Vater war schwer erkrankt. Seit Wochen war deshalb der Gasthof geschlossen. Das Ersparte schwand dahin, wie Schnee in der Sonne. Mutter war eine tiefgläubige Frau. Ihr Spruch begleitet mich bis heute durch das Leben:
Der liebe Gott packt für jeden, der auf die Welt kommt, einen Lebensrucksack. Und wenn dieser zu schwer wird, hilft er beim Tragen!
Mit dieser Grundhaltung hat sie jede schwere Zeit überstanden. So auch die damalige Situation der Armut, bedingt durch Vaters Krankheit. Schweren Herzens nahm sie das Angebot an, mich mit Klosterschwester Felicitas, zu der besonderen Weihnachtsfeier der Kirche gehen zu lassen. Dort wurden ärmere Kinder beschenkt. Nach Kakao, Gebäck und dem Singen von Weihnachtsliedern, wurde die Türe zum „Weihnachtszimmer“ geöffnet. Aufgebaut Geschenke mit Nummern versehen. Schwester Felicitas nahm mich bei der Hand und ich durfte in einem großen silbernen Topf zwei Zettel ziehen. Ich zog die Nummer 11 und 13 (bis heute meine Glückszahlen)! Schon beim Eintreten in das wunderschön dekorierte Weihnachtszimmer, sah ich dieses kleine Schränkchen mit den Schubladen. Mein Herz klopfte wie verrückt. Nummer 11 war ein kleiner Koffer, in dem Puppenkleider waren. Als begeisterte Puppenmutter war die Freude groß. Und dann sah ich die Zahl auf dem Schränkchen, die Zahl 13, genau die auf meinem zweiten Zettel stand. Mein größter Wunsch, ein Schrank mit Schubladen für meine ausgeschnittenen Buchstaben, hat sich erfüllt. Ich schwebte geradezu zurück auf meinen Platz, hielt meinen erfüllten Wunsch in den Händen und war dankbar und glücklich. Dieses Schränkchen hat mich durch mein Leben begleitet. Es steht immer in Sichtweite des Platzes, an dem ich meine Freunde die Buchstaben zusammensetze, bis sie zwischen zwei Buchdeckel kommen.
Die Frage, wie lässt sich glücklich sein beschreiben, ist schnell beantwortet. Gar nicht!
Glücklich sein ist in uns, wir fühlen es, tief in unserer Seele.
Weihnachten, als ich 8 Jahre alt war, spürte ich in mir, durch die überraschente Erfüllung eines Wunsches in einer schweren Zeit, pures Glück. Zeitgleich begriff ich unbewusst die Aussage meiner Mutter: Gott hat den Lebensrucksack gepackt, er hilft ihn auch tragen, wenn er zu schwer wird!
Weihnachten 2022 wünsche ich uns allen die Kraft, daran zu glauben, dass wir Hilfe bekommen, bei dem Tragen unseres derzeitigen, gesellschaftlich schweren Lebensrucksackes.
Aus ganzem Herzen frohes Fest wünscht
Renate Hartwig
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