Altenheim

Gedanken zum Todestag meiner Schwiegermutter

Liebe Schwiegermutter,

26. Oktober – heute vor 11 Jahren hast Du für immer Deine Augen geschlossen. Und es ist jedes Jahr eine schmerzliche Erinnerung, wie – Deinem Sohn und mir und Deinen Enkelkindern – verwehrt wurde uns von Dir zu verabschieden. Wir gezielt nicht informiert wurden, wie Du ins Krankenhaus gekommen bist. Immer wieder haben wir uns gefragt, was Du gedacht haben magst? Und hoffen, dass Du gewusst hast, es lag nicht an uns Dich nicht besucht zu haben. Da kommt mir dieser Satz „hätte“ in den Sinn. Viele dieser „hättest du, hätten wir…“ stehen im Raum. Doch diese ändern nichts mehr an den Tatsachen.

Du wolltest bei uns bleiben. Das bestätigen Ärzte, Therapeuten, Freunde. Nur als wir Dich im Juli 2013 in die Wohnung im Haus Deiner Tochter zurückbrachten, um den Umzug vorzubereiten, wurdest Du unserer Meinung nach vonseiten der Erbschleicher gezielt angegangen diesen Schritt, zu uns zu ziehen, nicht zu machen. Du wurdest abgeschirmt, nachdem Du über Monate bei uns warst und Dein Gesundheitszustand sich massiv verbessert hatte. Mir kommt vor, dies passte nicht in das Konzept.

Das es mir gelungen ist, gegen den Druck der Erbschleicher für Dich eine Pflegestufe zu erreichen, darüber bin ich heute froh. So konnten wir uns über die Adresse der Pflegerin – ohne Kontrolle – schreiben! Deine letzten Briefe sind der Beweis, wie sehr Du unter dieser kontrollierten Lebenssituation der Erbschleicher gelitten hast.

Bis heute denken wir bei jeder Fahrt auf der A 8 in Richtung Stuttgart, wenn wir an dem Parkplatz nach der Raststätte Denkendorf vorbeifahren, an den Moment, als wir im Auto von einem Verwandten angerufen wurden, dass in 20 Minuten Deine Beerdigung stattfindet. Wie dort ein Kranz mit unseren letzten Grüßen lag, der nicht von uns war, um den Anschein zu erwecken, wir wollten nicht dabei sein.

Es ist nicht zu erklären, geschweige denn zu verstehen. Um es auf jeden Fall nicht einfach so hinzunehmen, habe ich es in einem Tatsachenroman öffentlich gemacht. Auch als Warnung für alle, die denken, es könne ihnen nicht passieren! Viel kann abgesichert werden für das Alter, jedoch der Einfallsreichtum von Erbschleichern nicht!  

Seit meinem Buch weiß ich, unsere Erfahrungen sind kein Einzelfall. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht Informationen bekomme, bei denen Erbschleicher aus Gier und Egoismus agierten. Eltern verzweifeln an der Kälte die ihnen entgegen schlägt. Erben zwar „haben wollen“ doch vergessen, wie dieses Erbe erarbeitet wurde.

Es wird mir immer wieder von dieser Einsamkeit am Ende des Lebens berichtet. Vielleicht ist es mehr die Enttäuschung und dieser Schmerz im Herzen, über die emotionale Kälte der Kinder, wenn es um das Erben geht. Kindern für die man lebte, denen man ein Leben lang nur das allerbeste gewünscht hat.

Liebe Schwiegermutter, unsere Verbindung bleibt im Herzen so wunderbar wie sie im Leben war.

In Dankbarkeit für das Glück Deinen Sohn als Mann zu haben.

Für mich bist du bleibst Du unvergessen!

In Liebe Deine Renate      

Hier ein trauriger, jedoch realistischer Netzfund über den Alltag im Alter:

Ein Brief von einer älteren Frau aus einem Pflegeheim.

Ich bin 82 Jahre alt, habe 4 Kinder, 11 Enkel, 2 Urenkel und ein Zimmer von 12 Quadratmetern.

Ich habe kein Zuhause und keine teuren Dinge mehr, aber ich habe jemanden, der mein Zimmer putzt, Essen und Bettzeug vorbereitet, meinen Blutdruck misst und mich wiegt.

Ich höre nicht mehr das Lachen meiner Enkelkinder, ich sehe sie nicht wachsen, sich umarmen und streiten.

Manche kommen alle 15 Tage zu mir, manche alle drei oder vier Monate und manche nie.

Ich arbeite nicht mehr im Winter, ich backe keine Kuchen, ich verschönere den Garten nicht mehr.

Hobbys habe ich noch und ich lese gerne, aber meine Augen tun schnell weh.

Ich weiß nicht, wie lange noch, aber ich muss mich an diese Einsamkeit gewöhnen.

Hier im Heim leite ich eine Gruppenarbeit und helfe denen, den es schlechter geht als mir, so gut ich kann.

Bis vor kurzem habe ich einer unbeweglichen Frau im Zimmer neben mir vorgelesen, wir haben früher zusammen gesungen, aber sie ist neulich gestorben.

Sie sagen, länger zu Leben ist doch schön. Aber wieso? Wenn ich alleine bin, kann ich mir Fotos meiner Familie und Erinnerungen ansehen, die ich von zu Hause mitgebracht habe. Und das ist alles.

Ich hoffe, dass die nächsten Generationen verstehen, dass Familien geboren werden, um eine Zukunft (mit Kindern und Enkeln) zu haben, und dass sie die Familie auch im Alter nicht vergessen.

Bitte zeig das nicht meinen Kindern also deinen Eltern.

Deine Oma liebt dich. 👵🏻❤️

Gedanken zum Todestag meiner Schwiegermutter Read More »

Das Alter und die Nachhaltigkeit

Es gibt bei uns zwei Haushaltsgeräte, die ständig benutzt werden. Über deren Alter und deren Aussortieren haben wir uns noch nie Gedanken gemacht. Es ist einmal unser Entsafter, der seit 55 Jahren ohne einen Mucks uns frische Säfte presst, sowie die Brotmaschine, die alles was Geschnitten werden muss, schon im Haushalt meiner Mutter super erledigte. Keine Frage, beide Geräte sind alt, was für uns nie ein Thema war.

Bis auf den Tag, als mich bei unserem Generationentreff eine junge Frau mit 32 in der Küche völlig irritiert fragte, weshalb wir diese alten Geräte nicht entsorgen!?

Vielleicht war es mein Staunen, weshalb sie ausholte. Ich erwartete jetzt eine Standpauke von wegen Stromverbrauch. Zur Vorsicht konterte ich gleich, dass wir erst im Frühjahr einen Fachmann im Haus hatten, der für uns alle Endgeräte prüfte. Und unser Entsafter und die Brotmaschine seien, laut seiner Überprüfung, keine Stromfresser. Aber nein, kam als Antwort, es gebe modernere pfiffigere Geräte. Und wir – also mein Mann und ich – ständen doch NOCH mitten im Leben, zu uns würden so „alte Geräte“ einfach nicht passen.  Ja, aus der Sicht habe ich unsere Geräte tatsächlich noch nicht betrachtet.

Natürlich nahm ich das Thema umgehend mit in die Runde. Fragte, wer mir die Definition des strapazierten Wortes „Nachhaltigkeit“ aus der Sicht ihrer Generation sagen kann? Und zeitgleich gab ich noch folgende Erklärung ab: „Aufgrund von dem Hinweis, dass wir so alte Geräte benutzen, stell ich die Gegenfrage, was ist für euch ALT? Bestimmt eine Zahl, wer in welche Schublade kommt? Bleiben wir bei den Geräten kann ich sagen, für mich spielt eine Zahl generell keine Rolle. Im Gegenteil, ich bin geradezu begeistert, von unserem Entsafter und der Brotmaschine. Und nicht nur, weil sie das, was sie tun – nach über 50 Jahren immer noch können.“  

Und schon waren wir mitten im Sortieren von Begriffen. Schnell war klar, in der gesellschaftlichen Umsetzung klaffen Theorie und Praxis noch weit auseinander. Meine Frage welcher „pfiffige Entsafter“ zu uns passen würde, ging im Gelächter unter. Da kam mir die Idee, unsere beiden alten Geräte zu personifizieren.

Aufgrund meiner momentanen Recherchen über das „Alter und Altersdiskriminierung“ benutzte ich den Vergleich zwischen einem alten Menschen und einer alten Maschine. Gesellschaftlich haben wir weder die Geduld, noch nehmen wir wahr, wenn ältere Menschen MITLEBEN möchten und aufgrund ihrer Kondition es auch könnten. Sehen eine Lebenszahl und nach dieser wird deren MITLEBEN beurteilt.

Genauso, wie es Wenige wundern oder stören würde, wenn wir unseren wunderbaren Entsafter und die Brotmaschine aufgrund eines – durchaus hohen Alters –– entsorgten.

Und so wundert auch niemand das Wort „Versorgt sein“ in Verbindung mit Altenheim, wenn es um Senioren in den Familien geht.

Übrigens, aufgrund meiner Erfahrungen und durch Recherchen hinkt mein Vergleich, zwischen dem lockeren Entsorgen von alten Geräten und dem Versorgen von Verwandten in Altenheimen, leider nicht!

Völlig spontan haben unsere alten Geräte das Tabuthema „Alt und nun“ beim September- Generationentreff, in unsere Gesprächsrunde geschafft.

Das Alter und die Nachhaltigkeit Read More »

Großmutter Erna wehrt sich!

In dem Einfamilienhaus, kam Erna nach dem Tod ihres Mannes alleine gut zurecht. Das soziale Umfeld hatte Bestand. Der Kontakt zu den erwachsenen Kindern war sporadisch.

Bei einem der „wir sind gerade in der Nähe“ Besuche ihrer Tochter, kam es zum Thema Erbschaftssteuer. Intensiv wurden die allgemeinen Teuerungen beklagt, bis endlich das Wort „Hausüberschreibung“ fiel. Großmutter Erna stand kurz vor ihrem 81. Geburtstag. Laut Statistik blieben ihr noch drei Jahre. Natürlich wurde dies nicht ausgesprochen.  Die Tochter verpackte es in den Worten „Vorsorge, man weiß ja nie was kommt“!

Großmutter Erna besprach es mit ihren Freunden, die rieten ihr dies unbedingt auch mit ihrem Sohn zu besprechen. Der hatte zwar keine Ahnung von den Gedankengängen seiner Schwester, konnte jedoch dem Umstand der Erbschaftssteuer zu entgehen, etwas abgewinnen. Da er seine Schwester und deren Drang vonwegen „alles haben wollen“ von Kindesbeinen her kannte, informierte er sich.

Er wollte den Wunsch seiner Mutter, in ihrem Haus zu bleiben, festigen. Deshalb schlug er vor zusammen mit der Überschreibung, das lebenslange Wohnrecht und den Nießbrauch für die Mutter einzutragen. Bei diesen Vorbereitungen sickerte die Devise seiner Schwester durch „man weiß ja nie“ und sie beharrte darauf, auf sie eine Generalvollmacht auszustellen! Das wurde mit der Corona Pandemie und den Kontaktproblemen begründet.

Großmutter Erna war nicht wohl dabei und sie bestand darauf, wenn eine solche Generalvollmacht, dann auf ihre beiden Kinder, mit dem Zusatz, einer allein kann nicht entscheiden! Dies verzögerte erst einmal den Vorgang.

Erst als beim Notar, zeitgleich mit der Hausüberschreibung, die Generalvollmachten, im Sinne von Großmutter Erna unterzeichnet wurden, war sie zufrieden. 

Die Zeit ging ins Land. Großmutter Erna erwähnte Monate später gegenüber ihrer Tochter, die Lesebrille sei nicht mehr so gut. Innerhalb kürzester Zeit wurde von der Tochter ein Augenarzttermin organisiert, zu dem sie sich als Begleitperson anmeldete. Ganz nebenbei erwähnte die Tochter, es mache Sinn, nach dem Arzttermin dieses Altenheim anzusehen, bei dem – laut Zeitung – einige Plätze frei seien. 

Erna fühlte sich unwohl, empfand es als unangenehm. Sprach es auch aus und es kam zu einer Auseinandersetzung. Sie wollte gar nicht zum Augenarzt. Ihr Plan war eine neue günstige Lesebrille zu kaufen, wie sie es seit Jahren praktizierte. Dementsprechend war Erna beim Arzt auch sehr zurückhaltend, sprach nicht viel. Dafür übernahm die Tochter das Wort und Erna entging nicht, dass diese den Arzt gut kannte. Die Unterhaltung der beiden ging um die Vorteile im Alter in einem guten Heim unterzukommen. Erna hörte gar nicht mehr zu, für sie war das kein Thema. Sie hatte ihr Zuhause, konnte selbst einkaufen, kochen und hatte Kontakte. Wusste um die Situationen, in denen die Einlieferung ins Altenheim notwendig sein kann, nämlich wenn Sicherheit und Wohlbefinden des älteren Menschen nicht gewährleistet sind. Nur das war bei ihr nicht der Fall. Deshalb fühlte sie sich auch nicht angesprochen.

Wer konnte ahnen, dass ihre Teilnahmslosigkeit bei der Unterhaltung zwischen dem Arzt und der Tochter, als beginnende Demenz auf einem Schreiben des Arztes über ihren Gesundheitszustand auftaucht?!

Bei der Rückfahrt vom Arzt wunderte sich Großmutter Erna als ihre Tochter auf dem Parkplatz des Altenheims anhielt. Auf Rückfrage kam die Antwort: „Lass uns doch einfach mal reinschauen, man weiß ja nie“ um einen weiteren Konflikt zu vermeiden, willigte sie ein.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte die Seniorin nicht, dass ihr Umzug ins Altenheim von ihrer Tochter fest eingeplant war und sie längst in Gesprächen mit dem Altenheim war. Ernas Desinteresse bei der Besichtigung, war ein weiteres Puzzlestück, den Verdacht einer beginnenden Demenz zu festigen.

Nur über diesen Weg war es möglich, den Wunsch der Tochter umzusetzen das Haus zu verkaufen. Nach der Berechnung der Tochte, reichte die Rente von Erna und das Barvermögen aus, um die letzten Jahre im Heim finanzieren zu können.

Ernas stabiler Gesundheitszustand, ihre Sicherheit, allein leben zu können, musste Stück für Stück ins Wanken gebracht werden. So konnte der 300 km weiterlebende Bruder von der Notwendigkeit, Mutter muss ins Altenheim, überzeugt werden. Erst dann, würde die Klausel Wohnrecht wegfallen. Und das Elternhaus könnte bereits zu Lebzeiten veräußert werden.

Da der Sohn seine Schwester und ihre Ziele ahnte, besuchte er spontan für ein paar Tage die Mutter. Verwundert stellte er fest, wie offen Erna aussprach, dass sie überzeugt sei, es gehe der Tochter um den Gewinn beim Hausverkauf, der nicht möglich wäre, wenn sie nicht auszieht. Deshalb habe sie sich bei einer Beratungsstelle über gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf Einlieferung ins Altenheim, sowie über Entmündigung informiert. Außerdem bestehe sie auf einer Untersuchung, nach der ihr körperlicher und geistiger Zustand diagnostiziert werde. Sie wolle dokumentiert haben, dass sie in der Lage sei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

Im Gespräch mit der Schwester gab diese zu, dass sie das Elternhaus über ihren Sohn, der bei der Bank arbeitete, schätzen lies. Sie wusste auf den Cent genau, was der Verkauf – für jeden der Geschwister – bringen würde.

Der Fall von Großmutter Erna, ging nur gut aus, da der Sohn sich auf die Seite der Mutter stellte. Bei ihm die Lebensleistung der Eltern an erster Stelle stand. Er wusste, nur über diese kam zukünftiges Erbe zustande. Vor allem wollte er die Bedürfnisse und Wünsche der Mutter respektieren und ihre Würde geschützt sehen.

Großmutter Erna war, mit nun über achtzig Jahren eine wichtige Erfahrung reicher. Blut ist nicht immer dicker, wie Wasser. Insbesondere kommt dies vor, wenn es ums Erben geht! Durch Ernas Drängen, das Umschreiben im Grundbuch und die Generalvollmacht nur zu akzeptieren, indem beide Kinder eingetragen werden und einer allein nichts entscheiden kann, dazu ihr Sohn sie unterstützte, konnte sie in ihrem Haus weiter wohnen bleiben.  RH

I

Großmutter Erna wehrt sich! Read More »

Briefeschreiben eine vergessene Kunst?

Diese Kolumne wurde von mir 1988 für ein Freizeitjournal geschrieben. Heute möchte ich sie noch einmal veröffentlichen. Der Grund sind Reaktionen von Altenheimbewohnern, die aufgrund der Corona bedingten Kontakteinschränkungen, nicht nur massiv vereinsamten. Bei den Recherchen zu meinem Buch „Erbschleicher § sonstige Verwandte“ kam ich u.a. in verschiedenste Altenheime. Habe viel erfahren über den familiären Umgang mit „Alten“!! Immer wieder habe ich den Gedanken gehört, doch nur eine Last zu sein. Überflüssig zu sein. Durch die problematischen Bedingungen im Pflegebereich, lies sich dieser Gedanke auch nicht einfach auflösen. Spontan hatte ich, nachdem Kontaktverbot im März 2020 angefangen an die Altenheimbewohner, mit denen ich im direkten Kontakt stand, Briefe zu schreiben. Manchmal gelang es sogar, über diesen Weg dieses familiäre „Vergessen“ auszubremsen. Nachdem mir Altenpfleger und Altenpflegerinnen über die positiven Reaktionen berichteten, wusste ich, meine Gedanken in der Kolumne von 1988 haben selbst in der digitalen Zeit noch Gültigkeit. RH

Briefeschreiben – eine vergesse Kunst?

 „Schreiben – das ist etwas für Regentage“, hat mir ein Unternehmer gesagt. Im Gegenteil, ich finde schreiben lässt sich auch gut anstrahlenden Sonnentagen, wenn man den Wunsch hat, anderen Menschen etwas mitzuteilen. Schreiben ist auch etwas für friedliche Abende. Tatsächlich sind Brief schreibende Menschen dünn gesät.

Weil sie zu beschäftigt sind? Oder weil sie verlernt haben, Dingen Ausdruck zu verleihen, auch in Schriftform ist dies möglich – oft leichter und besser. Ich habe schon immer gerne Briefe geschrieben – für mich waren und sind es – festgehaltene, frankierte und abgeschickte Gedanken.

Korrespondenz ist für mich in erster Linie eine Möglichkeit, Gedanken zu offenbaren, durch meine Fingerspitzen abzuleiten, was in meinem Herzen verschlossen ist, in jedem Wort ganz ich selbst zu sein. Post ist auch oft der Kitt, der weit verstreute Freunde und Bekannte zusammenhält. Und was die Freunde anbelangt – was wäre ohne Briefwechsel heute von manch einer Freundschaft noch übrig?

Vor allem sind Briefe ein Vergnügen, für beide Seiten, den Empfänger genau wie für den Schreiber. Wenn ich mit lieben Worten auf Menschen zugehe, lasse ich den Alltag hinter mir. Ich steige in andere Gefilde und das tut gut. Probieren Sie es auch einmal, lassen Sie Ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf, lassen Sie sich fallen und reden Sie über das Papier mit dem anderen. Welch ein wunderbares Geschenk ist doch ein Brief!

Selbst der Umschlag kommt mir wie eine Geschenkverpackung vor, die Art wie er verschlossen ist, die Anschrift, die zeigt, dass er für eine bestimmte Person gedacht ist und alle anderen ausschließt. Ein Brief wird wie ein Geschenk ohne Verpflichtung überreicht. Er ist lediglich ein Vorschlag. Es liegt am Empfänger, ja oder nein zu sagen – und an einem Selbst, einen so schönen Brief zu schreiben, dass der Empfänger für die Zeit des Lesens innehält. Den Alltag vergisst und eintaucht in aneinander gereihte Buchstaben. Lernen Sie zwischen den Zeilen zu lesen.

Beim Briefe schreiben ist man mit sich selbst allein und lässt seine Gedanken wandern, hält Zwiesprache, ohne gestört zu sein. Deshalb lesen Sie, wenn sie ein Brief erreicht, jede Zeile gut, denn sie birgt viel von der Persönlichkeit und dem Gefühl des Schreibenden, der sich Zeit nimmt für Sie. Außerdem kann das Schreiben und Lesen viel abbauen. Den Stress eines anstrengenden Tages, den Ärger über etwas Erlebtes. Der Brief schreibende wie der Brief lesende verschenken sich gegenseitig Zeit. Ein kostbares Gut! Aus Briefen kann sich ein Dialog entwickeln, der beiden hilft, sich auch als Mensch wahrzunehmen. Außerdem setzt sich jeder der einen Brief schreibt, ja auch mit sich selbst auseinander, gerade in der heutigen Zeit fehlt das vielen Menschen, aber bedenken Sie, wer versucht, vor sich selbst zu fliehen, der nimmt sein Gefängnis mit.

Selbstvergessen habe ich Ihnen nun von meiner Freude am Schreiben erzählt, vielleicht probieren Sie es selbst einmal aus und erleben dabei die Freude beim Schreiben, aber auch die Freude, wenn eine Antwort ins Haus flattert. Ich wünsche Ihnen viele schöne Briefe, Zeilen, die aus dem Herzen kommen und dabei auch viele schöne Kontakte, über die hoffentlich von Ihnen nicht vergessene Kunst des Briefeschreibens.

 Ihre Renate Hartwig

Briefeschreiben eine vergessene Kunst? Read More »